Wollt Ihr das totale Kino? Medienmultis greifen an

Wollt Ihr das totale Kino? Medienmultis greifen an

Wollt Ihr das totale Kino? Medienmultis greifen an
_von Marita und Gernot Waage
Die Digitalisierung des Filmvertriebs ermöglicht eine umfassende Steuerung von
Lichtspielhäusern durch das hegemoniale Hollywood und die amerikanischen
Inhalte. Europäische Eigenproduktionen werden dadurch beschädigt, deren Angebot
wird längerfristig verarmen.
Hollywood ist überall: Der Welt droht eine kaum mehr überschaubare Überschwemmung
mit pseudokultureller Billigeinheitsware hauptsächl ich aus den USA. Wie strategisch diese
Planungen sind, zeigen die Ausführungen von Zbigniew Brzezinski, Berater USamerikanischer
Präsidenten von Jimmy Carter bis Barack Obama, von Mitte der 1990er
Jahre: „Die kulturelle Komponente der Weltmacht USA ist bisweilen unterschätzt worden.
Doch was immer man von ihren ästhetischen Qualitäten halten mag – Amerikas
Massenkultur besitzt, besonders für die Jugendlichen in aller Welt, eine geradezu
magnetische Anziehungskraft. Ihre Attraktion mag von dem hedonistischen Lebensstil
herrühren, den sie entwirft; ihr weltweit großer Anklang ist jedenfalls unbestritten.
Amerikanische Fernsehprogramme und Filme decken etwa drei Viertel des Weltmarktes
ab. Die amerikanische Popmusik ist ein ebenso beherrschendes Phänomen, während
Amerikas Marotten, Essgewohnheiten, ja sogar seine Mode zunehmend imitiert werden.“
Auch Europa ist eine Kulturkolonie Hollywoods: Die
US-amerikanische Filmindustrie ist mit 50 Prozent
wichtigster Lieferant für das europäische Fernsehen und mit
60 Prozent für das Kino. Schon 1992 stammten 83 Prozent
der Kinoeinnahmen in Deutschland aus Blockbustern made
in Hollywood. Und in Zeiten von Multimedia bleiben die
Bilder und Botschaften des Unterhaltungskinos nicht
auf der Leinwand. Die Kinopremiere wird von Videos,
DVDs und TV-Ausstrahlungen flankiert. Action wird
in Computerspiele umgesetzt. Die Musik-CD und das
Buch zum Film sind obligat.
Die digitale Erpressung
Ein Transmissionsriemen für die Amerikanisierung der
deutschen Kinolandschaft ist die Filmförderanstalt FFA.
Als Anstalt des öffentlichen Rechts kann sie „ von
Filmtheaterbetreibern und Videoprogrammanbietern eine
Filmabgabe“ erheben, um damit „Maßnahmen zur
Förderung des deutschen Films und zur Verbesserung der
Struktur der deutschen Filmwirtschaft“ durchzuführen.
Deutscher Film? Deutsche Filmwirtschaft? Mit ihren
Gebühreneinnahmen fördert
Man ködert die Kinobesitzer damit,
dass bei der Umstellung
auf Digitalisierung die Kopienkosten für die
Filmrollen wegfallen. Hollywood.
Blockbustern made in in Deutschland aus
Prozent der Kinoeinnahmen Schon 1992 stammten 83
die FFA die digitale Umrüstung von Lichtspielhäusern
nach – damit auch Kinos ausschließenden –
„pseudowirtschaftlichen“ Förderkriterien und vor
allem aber nach den technischen Vorgaben aus den
USA. „Der Wandel vom klassischen, analogen Kino
mit großen Filmspulen und dem Surren der Projektoren
zum digitalen High-Tech-Vorführort hat bereits
begonnen. Es stellt sich letztlich nicht mehr die Frage
‚ob’ oder ‚wann’, sondern ‚wie’ das digitale Kino
stattfinden wird“, freute sich die FFA – mittlerweile ist
ein großer Teil der Kinos mit hohem finanziellen
Aufwand umgerüstet worden. Die Zauberformel
lautete „Digital Cinema Initiatives“ oder kurz DCI.
„DCI-konformes Kino impliziert, dass der DCISystemspezifikation
entsprochen wird und die Geräte
den DCI Compliance Test Plan (…) bestehen, um
Hollywood-Produktionen im Kino präsentieren zu
können,“ schrieb das mit der technischen Umsetzung
befasste Frauenhofer-Institut. Die FFA nannte die
Profiteure dieser Umrüstung ganz offen: „[Die DCI] ist
ein Zusammenschluss der großen Hollywood-Majors:
Disney, Fox, MGM, Paramount, Sony Pictures,
Universal und Warner Bros. Studios, die sich (…) zu
einem gemeinsamen technischen Standard bekennen.“
Tatsächlich wurde dieser zwecks Marktbeherrschung
willkürlich festgelegt!
Man köderte Kinobesitzer auch damit, dass bei der
Umstellung auf Digitalisierung die Kopienkosten für die
Filmrollen wegfallen sowie eine viel höhere
Bildauflösung erreichbar ist. Allerdings hat das
menschliche Auge ohnedies nur eine beschränkte
Auflösungsfähigkeit, und speziell 3-D ist für Auge und
Gehirn nicht unproblematisch. Vor allem aber wird der
Einbahnstraßencharakter der neuen Technologie zu
wenig berücksichtigt: Bei der traditionellen Projek tion
über Filmrollen konnten die Filme aufgrund des weltweit
gültigen Projektorenstandards für 16 beziehungsweise 35
Millimeter international verbreitet, ausgetauscht und
abgespielt werden. Wer die Filmspulen zur Verfügung
hatte, konnte loslegen, das gab den Kinobesitzern eine
gewisse Autonomie. Das neue digitale System ähnelt
dagegen dem „video on demand“, wie es heute schon
speziell amerikanische
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Militainment
Durch äußerst cleveres
Marketing sorgte und sorgt eine
Allianz von
Unterhaltungsindustrie, Politik
und Militär dafür, dass das
Konzept der sogenannten
humanitären Intervention als
kriegsfreundliches Kulturdiktat
bei Medienkonsumenten eine
gewisse Normalität erlangt hat
oder zumindest auf keinen
nennenswerten Widerstand
stößt. Große Kinoproduktionen
wie Armageddon, Mission
Impossible oder Pearl Harbour
sowie (auch damit verbundene)
militärbezogene
Computerspiele arbeiten dem
sogenannten Antiterror-Krieg
der USA zu. „Durch die
weltweite Verbreitung des
American way of life entsteht
ein idealer Rahmen für die
Ausübung der indirekten und
scheinbar konsensbestimmten
Hegemonie der USA,“ schreibt
US-Präsidentenberater
Zbigniew Brzezinski. Der
massenkulturelle Militarismus
erstreckt sich dabei auf alle
Filmgenres, gibt sich harmlos
und nutzt die Faszination, die
von neuen Technologien
ausgeht (Beispiel Avatar). Da er
allgemeine Verbreitung
gefunden hat, nimmt man ihn
ihn der Regel gar nicht mehr als
etwas Ungewöhnliches wahr.
Der Macher von Armageddon,
Philip Nemy, warb seinerzeit
beim Pentagon für die
Unterstützung seines Filmes, in
dem „das Können, die
Führungsstärke und der
Heroismus des amerikanischen
Militärs verdeutlicht“ werden
solle.
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Hotelketten eingerichtet haben. Hier entscheidet der Besitzer der technischen Vertriebswege
beziehungsweise der digitalen Schlüssel, was überhaupt an Angebot eingespeist wird, und der
Kunde – in diesem Fall der Kinobesitzer – ist in einer „Friss-oder-stirb“-Situation.
Die Digitalisierung bietet den Herren von Hollywood ein erhebliches Druckpotential, da deren
DCI-Filmangebote ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch über Satellit übermittelt werden
könnten beziehungsweise über US-Codes geschützt werden. Mit anderen Worten: Sollten in
Deutschland Verleiher, Kinobesitzer oder Politik sich beispielsweise gegen gewisse
demokratiefeindliche, gewalt- oder kriegsverherrlichende Filme verwahren, könnte
gewissermaßen ein Knopfdruck genügen und die Kinole inwände blieben für Produkte aus
den USA (oder für auf Basis von US-Formaten oder US -Codes aufbereitete Filme) dunkel.
Durch Kettenbildung und Absteckung der Claims werden bereits Monopollinien geschaffen,
die keine deutschen Verleiher und auch keine Kommunalen Kinos in den Städten oder in
der Fläche mehr brauchen. Und schon gar keine Entscheidungsfreiheit des Kinobesitzers
mehr – er muss abnehmen, ob er will oder nicht.
Der Ökonomiekritiker Jeremy Rifkin bilanziert:
„AOL Sony Corporation sind nicht nur
Medienkonzerne, sie sind die globalen Kontrolleure des
Zugangs zum gesamten Spektrum kultureller Erfahrungen,
des Tourismus, der Themenparks und
Unterhaltungszentren, des Gesundheitsgeschäfts, von
Mode und Cuisine, Sport und Spielen, von Musik und
Film und Fernsehen, von Buchverlagen und Zeitschriften (…). Dadurch, dass sie die
Kommunikationskanäle kontrollieren, und dadurch, dass sie die Inhalte formen, die gefilmt,
gesendet oder ins Internet platziert werden, gestalten [sie] die Erfahrungen von Menschen
überall auf der Welt. Diese Art der überwältigenden Kontrolle menschlicher
Kommunikation ist beispiellos in der Geschichte.“
Die nächsten Etappen bei der Kontrolle des Massenbewusstseins sind schon absehbar: „Urban
Entertainment Center“ (Städtisches Unterhalt ungszentrum – UEC) heißt das aus den USA
kommende Konzept für Menschen, die daran gewöhn t sind, rund um die Uhr animiert zu
werden. Theoretisch ist in einem UEC alles enthalten, was der homo americanus braucht: Man
kann hier arbeiten, sich erholen, sich amüsiere n und sogar „Natur erleben“. Nur dass dieses
alles in einer irrealen Welt stattfindet, die die Realität nur zu simulieren versucht…
Statt aufs Land oder zu Sehenswürdigkeiten fährt man dann eher in ein UEC.
Problematisch dabei ist, dass Kinder, die in dieser realen Irrealität aufwachsen, den wahren
Bezug zur gewachsenen Umwelt verlieren. Ankermieter sind meistens Sport-Arenen (in
den USA), Multiplex-Kinos, Großraumdiskotheken, Musicals, Spi elcasinos, Hotels und
Shops. Kommerz ist alles.
Auch Unterhaltungs-Städte, die einzelnen Firmen gehören, sind bereits gebaut. In Kalifornien
wurde 1994 „Celebration – Musterstadt d er Disney World“ realisiert. Sie sollte 20.000
handverlesenen Bewohnern ein Zuhause bieten – „proper, clean und ohne soziale Probleme
(…), ein Prototyp für das kommende Jahrtausend“, schwärmte Disney-Chef
„Diese überwältigende Kontrolle
menschlicher Kommunikation ist
beispiellos in der Geschichte.“
Jeremy Rifkin
Time Warner, Disney, Viacom und
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Michael Eisner. Aktuell sind es 7400 Einwohner. Ein älterer Bewohner wird mit den
Worten zitiert: „Einen Stadtrat und einen Bürgermeister brauchen wir nicht, die Gesellschaft
hat bisher alles bestens geregelt; dieses Gezänk von Leuten, die sonst nichts weiter zu tun
haben, interessiert uns nicht.”
Ein Ausweg
Wer sich als Kinobetreiber gegen die Digitalisierung sperrt, noch immer keine
elektronische Ticketierung mit Direktabrechnung hat und mit Liebhaberfilmen nur wenige
Zuschauer anzieht, für den bleibt am Ende nicht mehr viel Geld übrig. Zusätzlich versüßt
die FFA den Übergang zu dem neuen System mit Zuschüssen. Gibt es also gar keine
Alternative zur flächendeckenden Digitalisierung der Lichtspielhäuser?
Einen Lichtblick vor allem für Kinos, die die FFA-Kriterien nicht erfüllen und keine
Förderung erhalten, gibt es allerdings: Ein Team der Cinemathek Leipzig entwickelte „eine
neue Lösung für die Digitalisierung kleiner und fin anziell schwach ausgestatteter Kinos“ –
das sogenannte A-Cinema-System. „A-Cinema“, das „Alles-Kino“, soll Kinomachern in
Deutschland Unabhängigkeit, Zukunftsfähigkeit bezie hungsweise Erweiterbarkeit sowie
günstige Finanzierungsmöglichkeiten ermöglichen. Die A-Cinema-Lösung kann mit Hilfe
des EasyDCP-Players des Fraunhofer-Instituts codierte Filmpakete jedweder Herkunft
abspielen, man ist dann nicht mehr an das amerikanische System gebunden. So könnten bei
uns Kinobetreiber weiterhin selbst entscheiden, welche Angebote in ihrem Programm
laufen und sich einen offenen, uneingeschränkten Zugang zu Filmprojektionen erhalten.
Würde sich darüber hinaus langfristig ein europäischer Digitalisierungsstandard mit
vereinfachtem Zugang durchsetzen und müssten Produktionen künftig darüber abgewickelt
werden, könnten US-amerikanische hegemoniale Erpressungsstrategien endlich
durchbrochen werden.

  • Marita und Gernot Waage leben in der Nähe von Köln und beschäftigen sich beruflich
    mit der Entwicklung von Massenkultur und Filmgeschäft.
    © Marita und Gernot Waage, Leverkusen, 2/2014

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