Stellungnahme des Vorstands der AG Verleih – Verband unabhängiger Filmverleiher e.V. zum
aktuellen BKM-Modell für die Digitalisierung der Kinos
Der Vorstand der AG Verleih – Arbeitsgemeinschaft der unabhängigen Filmverleiher e.V. beobachtet mit
großer Sorge die aktuelle Diskussion und die konkrete Entwicklung der Einführung des digitalen Kinos.
Nachdem ein branchenweites Modell zum digitalen Roll Out mit definierten Finanzierungsanteilen von
Verleihern, Kinos, Werbewirtschaft und Filmförderern – das von der AG Verleih unterstützt wurde – bisher
nicht zustande kam, stellte der BKM auf der Expertenanhörung des Kulturausschusses des Deutschen
Bundestags ein Modell vor, das in einer reduzierten Form Förderbeihilfen zur Einführung des digitalen
Kinos vorsieht. Wir begrüßen den grundsätzlichen Ansatz dieses Modells, das von der Notwendigkeit von
Förderbeihilfen gerade für kleinere Filmkunsthäuser ausgeht. Allerdings erscheint uns dieses Modell nicht
ausreichend geeignet, um den vitalen Anforderungen des ohnehin schwierigen Arthouse-Marktes in der
Praxis gerecht zu werden.
Gleichzeitig werden durch die kürzlich angekündigten Digitalisierungs-Initiativen einzelner Kinoketten in
Partnerschaft mit neu auf den Markt drängenden Teilnehmern Fakten geschaffen, deren Auswirkungen
auf den unabhängigen Verleihmarkt äußerst besorgniserregend sind. Wir sehen uns einer Situation
gegenüber, in der das bisherige Geschäftsmodell zwischen Kinos und Verleihern und damit der gesamte
unabhängige Arthouse-Markt massiv gefährdet sind.
Drei Bereiche erscheinen uns besonders wesentlich – tatsächlich geht es dabei um den Erhalt der
einzigarten, vielfältigen Kino- und Filmlandschaft in Deutschland:
- Kriterienkinos für die Förderung der Digitalisierung
Das aktuelle BKM-Modell berücksichtigt durch die Festlegung von Umsatzgrenzen zu Recht viele kleinere
Kinos in der geplanten Digitalisierungsförderung. Allerdings wären die allerwenigsten Arthouse-Kinos
oberhalb dieser Umsatzgrenzen in der Lage, die DCI-Digitalisierung selbst oder über den Markt zu finanzieren
– schon jetzt ist die wirtschaftliche Lage dieser Kinos, die ihr Programm mit einem hohen Anteil an
deutschen und europäischen Filmen gestalten, äußerst angespannt. Die Auswirkungen einer frei zu
finanzierenden Digitalisierung dieser Kinos wären für den Verleihmarkt jenseits der Majors verheerend.
Wir halten deshalb die Kombination von Umsatzgrenzen sowie kulturellen Kriterien wie das
Abspiel deutscher und europäischer Filme und die Auszeichnung mit BKM-Kinoprogrammpreisen
für unbedingt notwendig, um die Förderung der Kinodigitalisierung zu gestalten. Die dafür
notwendigen finanziellen Spielräume würden sich auf einen Schlag durch den Verzicht auf den
von Hollywood vorgegebenen DCI-Standard zugunsten von an die jeweiligen Gegebenheiten
angepassten Lösungen ergeben. - DCI-Standard / E-Cinema
Die Diskussion um die Umstellung der Kinoprojektion auf digitale Technik orientierte sich bislang fast ausschließlich
an dem von den Hollywood-Majors gesetzten DCI-Standard. Tatsächlich ist der DCIStandard
gerade für die mittleren und kleinen Arthousekinos technisch nicht notwendig –
abhängig von Saal- und Leinwandgröße erzielen digitale Projektionen außerhalb dieses Standards
(E-Cinema) absolut gleichwertige Ergebnisse bei nur ca. 35-50% der Umrüstungskosten. Bei
Einführung des DCI-Standards müssten im übrigen die schon vorhandenen, technisch völlig
AG Verleih – Arbeitsgemeinschaft der unabhängigen Filmverleiher e.V.
Vereinsregister: 25492 Amtsgericht Charlottenburg
Schliemannstr. 5 | 10437 Berlin | Tel.: 030 – 41 71 57 24 | Fax: 030 – 44 00 88 45 | email: agverleih@gmx.de | www.ag-verleih.de
ausreichenden und derzeit ohne VPF betriebenen E-Cinema-Anlagen im Arthousebereich teilweise
wieder verschrottet werden.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es in der Praxis des analogen Kinos keine vorgeschriebene
technische Standardnorm gibt: es bleibt den Kinos überlassen, mit welcher Lichtstärke sie
ihre 35mm-Projektoren ausrüsten, welche Tonanlage sie verwenden, wie sorgfältig sie ihre Anlagen warten.
Es ist aus unserer Sicht nicht einzusehen, warum diese jahrzehntelang bewährte Praxis durch
die willkürliche Setzung einer Norm verändert werden soll, die neben technischen Standards in erster
Linie die absolute Kontrolle des Blockbusterabspiels (Haus, Uhrzeit etc) durch die Majorstudios
gewährleisten soll. Die Mitglieder der AG-Verleih dagegen setzen auch weiterhin auf eine
Zusammenarbeit mit ihren Kunden, die auf Vertrauen und Sachverstand basiert.
Eine Öffnung des DCI-Standards zugunsten technisch gleichwertiger, an den Anforderungen und Möglichkeiten
der jeweiligen Kinos ausgerichteter und ungleich preiswerterer Lösungen würde erhebliche
finanzielle Spielräume für die flächendeckende Digitalisierung des Kinos und die entsprechenden
Unterhalts- und Upgrade-Kosten eröffnen. Nur so können die in den vergangenen Jahren immer wieder
beschworenen neuen Möglichkeiten des Digitalen Kinos wirklich zur Entfaltung kommen – die Knebelung
durch den von Hollywood vorgegebenen DCI-Standard würde hingegen eine eindeutige
Verschlechterung gegenüber dem analogen Kino zur Folge haben und die Branche dauerhaft mit
unabsehbaren Folgekosten belasten. - „Third-Party“-Modelle / Virtual Print Fee (VPF)
Die ersten Kinoketten haben bereits die DCI-Digitalisierung mithilfe von sogenannten „Third-Parties“
angekündigt –privaten Unternehmen, die sowohl in der Finanzierung der DCI-Digitalisierung wie auch in
der technischen Dienstleistung engagiert sind. Soweit wir die bisherigen Geschäftsmodelle übersehen
können, ist damit ein neuer Marktteilnehmer im Spiel, der im Nadelöhr des technischen Zugangs zur Kinoprojektion
die Marktbedingungen wesentlich mitbestimmt. Nach den bisherigen Informationen ergeben
sich dabei folgende schwerwiegende Probleme:
– Die „Third Parties“ schließen nicht nur mit den jeweiligen Kinobetreibern Verträge zur DCI-Umrüstung
und der entsprechenden Finanzierung, sondern auch mit den Verleihern, die ihre Filme dort zeigen
wollen. Bereits jetzt ist bekannt, dass die „Third Parties“ den Verleihfirmen sehr unterschiedliche
Angebote machen – auf unabhängige Verleiher mit geringerem Marktanteil werden dabei mit großer
Wahrscheinlichkeit dauerhaft höhere Kosten als bei der 35mm-Auswertung zukommen. Zudem
erhöht sich – durchaus im Interesse der „Third Parties“ – der Druck auf die Kinos, die Filme weniger lang
einzusetzen, um mit dem nächsten Neustart wieder eine neue VPF einzunehmen.
Nach unseren Informationen ist die Unterzeichnung einer Geheimhaltungsklausel Vorbedingung der
Verhandlungen mit den bisher auf den Plan getretenen „Third Parties“. Verleiher mit einem Marktanteil
von unter 2% wurden bisher überhaupt nicht angesprochen. Eine Transparenz und flexible, an den
jeweiligen Anforderungen ausgerichtete Handhabbarkeit, wie sie das analoge Kino durch
Vereinbarungen zwischen Kino- und Verleihverbänden sowie rechtliche Vorgaben des FFG
garantiert, ist hier nicht gegeben.
– Frühere Modelle der Digitalisierung gingen davon aus, dass eine VPF (und damit der Finanzierungsanteil
der Filmverleiher) einmalig pro Kopie fällig werden. Allein dieses Modell ist in der Praxis des
Arthouse-Marktes gangbar. Nun sehen wir uns Bedingungen gegenüber, die eine VPF bei jedem Kino-
Neueinsatz aufrufen: kürzere Einsätze in Programmkinos und die für das Arthouse-Segment essentiell
wichtigen Einzel- und Sondervorstellungen wie Filmkunsttage, Kindervorstellungen oder Schulkino
werden damit für Kino und Verleih mindestens unrentabel, vermutlich sogar wirtschaftlich unmöglich
AG Verleih – Arbeitsgemeinschaft der unabhängigen Filmverleiher e.V.
Vereinsregister: 25492 Amtsgericht Charlottenburg
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gemacht. Ein Abrücken von der einmalig pro Kopie fälligen VPF hätte damit verheerende
Auswirkungen inbesondere auf den Arthouse-Markt.
– Ungeklärt ist für uns die Kompatibilität der VPF mit den Richtlinien der Filmförderung, sowohl der
nationalen durch die FFA wie der Regionalförderung. Gehören die erst in der Auswertung entstehenden,
nicht seriös kalkulierbaren VPFs zu den abzugsfähigen Verleihvorkosten? Lassen sie sich als
Regionaleffekt bei den regionalen Filmförderungen darstellen? Auch hier lässt die Praxis aus unserer
Sicht nur das Modell einer einmaligen, vorab kalkulierbaren VPF zu. Bei jeder anderen Regelung werden
auf der einen Seite erfolglose Kinostarts noch teurer, während bei veritablen Kinoerfolgen ein Teil des
Gewinns von „Third Parties“ abgeschöpft wird, zulasten von Kinos, Verleihern und Filmproduzenten.
Im Zusammenhang mit den „Third-Party“-Modellen ist aus unserer Sicht unbedingt sicherzustellen, dass
Förderung nur bei Berücksichtigung der oben beschriebenen, für den Arthouse-Markt vitalen Kriterien gewährt
wird, insbesondere bezüglich der VPF-Regelungen. Ebenso sollten umgehend das FFG bzw. die
entsprechenden Richtlinien ein verbindliches Regelwerk für die sich durch die Digitalisierung des Kinos
ergebenden Veränderungen insbesondere in Hinsicht auf kalkulierbare Filmherausbringungen vorgeben.
Es sei abschließend festgestellt, dass wir als unabhängige Filmverleiher der bevorstehenden Digitalisierung
des Kinos weiterhin positiv gegenüberstehen und bereit sind, uns mit angemessenen
Anteilen an ihrer Finanzierung zu beteiligen. Oberste Kriterien sollten dabei die Beibehaltung des
offenen, unbeschränkten Zugangs zu den Kinoprojektionen und die Bewahrung, möglichst den
Ausbau der einzigartigen und vielfältigen deutschen Kino- und Filmlandschaft sein. Die derzeitige
Entwicklung des digitalen Roll Outs stellt nach unserer festen Überzeugung aber im Gegenteil eine
massive Bedrohung dieser Kino- und Filmlandschaft dar, deren Auswirkungen noch nicht
ausreichend durchdacht und berücksichtigt wurden.
(Vorstand der AG Verleih, 17.8.2010)