Pädagogisches Leitbild unserer Kulturarbeit
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Pädagogisches Leitbild unserer Kulturarbeit
Die Auswahl von Filmen orientiert sich am personalen Menschenbild unserer Verfassung. Kern
einer Beförderung der Demokratie ist die Entwicklung eines sozialen Gefühls und die Einübung
prosozialen Handelns – gerade bei Jugendlichen – durch entsprechende Vorbilder. Das entspricht
dem personalen Menschenbild des Grundgesetzes, welches das Bundesverfassungsgericht wie folgt
formuliert hat: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen
Individuums, das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der
Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei
deren Eigenwert anzutasten.“ Es gilt dabei dem entgegenzuwirken, was Papst Franziskus treffend
ausführte: „Es ist die geistliche Armut unserer Tage, die ganz ernstlich auch die Länder betrifft, die
als die reichsten gelten. Es ist das, was mein Vorgänger, der liebe und verehrte Benedikt XVI.,
‚Diktatur des Relativismus‘ nennt und was jeden sein eigener Maßstab sein lässt und so das
Zusammenleben unter den Menschen gefährdet.“ (Audienz für das am Heiligen Stuhl akkreditierte
Diplomatische Korps, 22.03.2013)1
Die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens setzt unter uns Bürgern eine sichere, d.h.
verbindliche Wertegrundlage bei jedem Einzelnen voraus. Die bewährten Grundwerte (z.B.
Hilfsbereitschaft, soziale Verantwortung, Heimatverbundenheit, Menschenwürde, ) wurden und
werden in unserer Arbeit gestützt. Ihnen gilt es wieder zu mehr Achtung zu verhelfen. Die Einübung
einer und Unterstützung bei der Einhaltung dieser Werte eines auf Interessenausgleich und
friedlicher Konfliktlösung beruhenden Miteinanders sollte dabei bereits in Kindheit und Jugend
einsetzen. Leider wird hingegen zunehmend aggressives Verhalten speziell durch Medienvorbilder
als erstrebenswertes Mittel dargestellt und dabei nicht nur durch Jugendliche imitiert. Gerade der
Konsum von Gewaltdarstellungen kann den Einzelnen unempfindlicher gegenüber realer Gewalt
machen und ihn dazu verleiten, diese als selbstverständlicher, gewissermaßen als naturgegeben,
hinnehmen.
Bekanntermaßen wird die Würde des Menschen im zwischenmenschlichen Geschehen gebildet und
muß von daher als emotionale Qualität gelebt und vor allem für die jüngere Generation erlebbar
gemacht werden. Dazu gehört vor allen die Achtung vor dem und das Einsetzen für den
demokratisch verfaßten Rechtsstaat. Es ist kein Zufall, daß 1948 – nach dem furchtbaren Zweiten
Weltkrieg – in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen als erstem
Punkt aufgenommen wurde:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und
Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Eine weitere Grundvoraussetzung für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit stellt die
soziale Verbundenheit mit der näheren und weiteren menschlichen Umgebung – insbesondere der
1 http://www.bistum-regensburg.de/glauben/papst-franziskus-in-zitaten/#accordion
Grundlagen unserer pädagischen Arbeit
Lehrplan 21
«Den Pisa-Test sollte man abschaffen»
Interview: Claudia Wirz Montag, 14. Juli 2014
Didaktikprofessor Jochen Krautz fordert die Abschaffung des Pisa-Tests. (Bild: Keystone)
Herr Prof. Krautz, Sie sind gegen Kompetenzen als pädagogisches Konzept. Machen Kompetenzen denn dumm?
Ja, weil durch sie die Bildung abhandenkommt. Die Kompetenzorientierung vernachlässigt Fachinhalte und würdigt sie zu reinen Trainingsobjekten herab. Ob Lesekompetenz anhand des «Faust» oder der Handy-Gebrauchsanweisung erlangt wird, ist dem kompetenzorientierten System egal. Damit gehen Bildungsinhalte schlicht verloren.
Was sind «Kompetenzen» überhaupt?
Der Begriff «Kompetenz» geht auf den Kognitionspsychologen Franz Weinert zurück und ist im Alltagsverständnis positiv besetzt. Wer will schon einen inkompetenten Heizungsmonteur? Allerdings beschreibt Kompetenz im schulischen Zusammenhang eine innere, weder sicht- noch messbare Voraussetzung, etwas zu tun. Der Fachinhalt ist dafür zweitrangig.
Kompetenzen ohne Bildung – geht das?
Ja, leider, weil man Kompetenzen auch ohne Inhalte trainieren kann. Bildung ist etwas anderes. Der sich Bildende sucht die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt, will den Inhalt verstehen, Zusammenhänge erkennen und Neuland entdecken. Kurz – er denkt selber. Das selbständige Denken wird durch Kompetenzen aber weniger gefördert. Hier geht es vielmehr um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten.
Sie kritisieren, dass der Nutzen der Kompetenzorientierung nicht erwiesen sei. Aber ist es denn der Schaden?
Es gibt keinen wissenschaftlich validen Konsens zum Kompetenzbegriff. Das Kompetenzsystem ist ein Konstrukt der OECD. Trotzdem hält die OECD daran fest. Dabei müssten die Reformer zuerst einmal beweisen, dass dieses neue System tatsächlich besser ist als das alte. Diesen Beweis gibt es aber nicht. Man darf in der Pädagogik nicht einfach etwas ausprobieren, denn damit verbaut man möglicherweise ganzen Generationen von Schülern die Lebenschancen. Die Kompetenzorientierung bringt faktisch eine Absenkung des Bildungsniveaus.
Aber auch mehr Gerechtigkeit?
Das halte ich für reine Rhetorik, denn dafür gibt es keinerlei Beweise. Klar, es gibt mehr Abschlüsse. Mehr Abschlüsse bei sinkendem Niveau – das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.
Gibt es eine Bildungsblase?
Ja. Wir provozieren tatsächlich eine Inflation bei den akademischen Abschlüssen. Das Ganze geht auf die These zurück, dass mehr Akademiker auch mehr Wohlstand bedeuten. Diese These ist aber ebenfalls nicht belegt, ganz im Gegenteil. Die Schweiz und auch Deutschland mit dem dualen Berufsbildungssystem und der vergleichsweise tiefen Jugendarbeitslosigkeit sind der lebendige Gegenbeweis. Das nimmt man mittlerweile vereinzelt sogar in der OECD zur Kenntnis. Aber das Mantra vom Segen der Akademisierung ist noch lange nicht verstummt.
Warum hat die OECD überhaupt eine solche Macht über die nationalen Bildungssysteme?
Die OECD liefert eigentlich vergleichende Wirtschaftsdaten. Aber sie hat sich schon in den 1960er Jahren der Bildungspolitik angenommen. Ihr Ziel ist eine Vereinheitlichung des Bildungswesens in der ganzen OECD, der Abbau lokaler und nationaler Traditionen und klassischer Inhalte zugunsten der Standardisierung und Vergleichbarkeit. Dahinter steckt ein ökonomistischer, neoliberaler Glaube. Der Pisa-Test ist das Kind dieses Denkens. Der angeblich neutrale Pisa-Test führt zu einem völlig neuen Begriff von Bildung: Es geht nicht um Wissen, sondern um die Fähigkeit, sich anzupassen. Das steht im krassen Widerspruch zu allem, was die alte Bildungstradition ausmacht. Komplette Anpassung war nie ihr Ziel.
Ist das gefährlich?
Ich halte diese Entwicklung für sehr bedenklich. Man muss den jungen Leuten beibringen, selbständig zu denken und nicht nur äusserlich zu funktionieren. Für die Demokratie ist diese Entwicklung hochgefährlich. Kulturell ist sie verheerend. Und für die Wirtschaft ist sie riskant, weil Können und Wissen verloren gehen. Dieses System erzeugt Menschen, die zwar nach Richtlinien arbeiten können, aber keinen Bezug zu ihrer Arbeit haben. Schulzimmer werden heute zum Teil gestaltet wie Grossraumbüros, und im «selbstorganisierten Lernen» arbeitet man an seiner «Sozialkompetenz» und «Teamfähigkeit». Als durchgängiges pädagogisches Modell funktioniert das nicht. Lernen ist und bleibt ein Beziehungsgeschehen zwischen Lehrer und Schülern und der gemeinsamen Sache.
Kann man diese Entwicklung überhaupt noch aufhalten?
Das ist eine Frage des politischen Willens. Es braucht eine öffentliche Debatte dazu. Ich bin durchaus optimistisch, denn es wird in letzter Zeit viel gesprochen über Kompetenzen, auch durchaus kritisch. Die ganze Sache ist keineswegs unumstritten. Aber man muss diesen Diskurs auch wollen. Hier sind gerade in der Schweiz mit ihrer direktdemokratischen Kultur die Politik und auch die Eltern gefragt. Sie sollen mit den Schulen und in der Öffentlichkeit den Diskurs führen und wo möglich Abstimmungen provozieren. Denn das Bildungsverständnis der OECD ist am Volk vorbei eingeführt worden. Dagegen kann man sich wehren.
Soll man den Pisa-Test abschaffen?
Ja. Denn wir verlieren dabei nichts und gewinnen viel. Das Geld für die Pisa-Tests könnte man im Bildungsbereich besser investieren. Latein muss man noch richtig büffeln, um es zu verstehen.
War die Abschaffung des obligatorischen Latinums das Ende einer echten europäischen Bildungsbeflissenheit?
Sie sprechen mit einem ehemaligen Lateinlehrer. Leider kann man heute auch Latein kompetenzorientiert unterrichten und prüfen. Aber grundsätzlich hat Latein eine sprachliche Struktur, die sich gegen das Kompetenzsystem wehrt. Latein fördert und fordert genaues Verstehen und Begründen. Ich halte es – zumindest in einem Teil der Studiengänge – für hochproblematisch, wenn dieses Bewusstsein nicht mehr vorhanden ist.
Jochen Krautz ist Professor für Kunstpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal. 2007 erschien von ihm das Werk «Ware Bildung – Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie».
http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/den-pisa-test-sollte-man-abschaffen-1.18342855
Deutschlandradio, 30.05.2008
Psychologe: Kinder sind keine Partner
Michael Winterhoff warnt vor Heranziehung kleiner Tyrannen
Moderation: Christoph Heinemann Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Michael Winterhoff, hat vor einer Macht-Umkehr zwischen Eltern und Kindern gewarnt. Dinge zu erklären, könnte ein Anleiten und Führen nicht ersetzen. Eltern als Freunde machten Kinder zu Tyrannen. Winterhoff ist Autor des Buches “Warum unsere Kinder Tyrannen werden – Oder: Die Abschaffung der Kindheit”.
Christoph Heinemann: Von Kindern, die in den Brunnen gefallen sind, von Eltern, die sich bei ihrem Nachwuchs lieb Kind machen wollen, von einer Pädagogik, die das Kind mit dem Bade ausschüttet, handelt unser nächstes Gespräch. Dr. Michael Winterhoff ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie, praktiziert in Bonn und sucht in einem Buch Antwort auf die Frage: “Warum unsere Kinder Tyrannen werden”. Er warnt vor Eltern und Erziehern, die Kinder zu Partnern aufwerten, die sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes nicht sein können. Guten Morgen, Herr Winterhoff!
Michael Winterhoff: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Woran erkennt man tyrannische Kinder?
Winterhoff: Wenn man gesunde Messlatten nimmt, würde ein dreijähriges Kind sich schon auf die Eltern einstellen. Ein fünfjähriges Kind würde jeden Auftrag gerne und gleich für die Mutter erledigen. Der Fünfjährige deckt den Tisch für die Mutter. Wir haben jetzt immer mehr mit Kindern zu tun, die dieses nicht leisten, sondern die sich eben verweigern – auch noch im Alter von fünf, sieben, acht oder zehn Jahren. Wir haben immer mehr Kinder, die verweigern, sich anzuziehen, auszuziehen, den Tisch zu decken oder auch Hausaufgaben zu machen.
Heinemann: Aber Trotz gehört doch zur Kindheit?
Winterhoff: Ja, Trotz gehört schon in ein Alter hinein, aber eher zwei bis drei Jahre, aber nicht mehr im Alter von sieben. Wie gesagt: das Kind würde ja für die Mutter über die Beziehung alles tun “Warum unsere Kinder Tyrannen werden” – Versagen immer mehr Eltern bei der Erziehung?.
Heinemann: Warum werden Kinder zu Tyrannen?
Winterhoff: Das Problem, das wir in Deutschland haben, ist, dass immer mehr Kinder psychisch nicht mehr reifen können. Die Fehler liegen auf der Erwachsenenseite. Das heißt, immer mehr Erwachsene sehen in Kindern Partner. Es gibt auch immer mehr Erwachsene, die wollen von Kindern geliebt werden. Es kommt dadurch zu einer Macht-Umkehr und das Kind hat keine Chance auf Entwicklung.
Heinemann: Inwiefern?
Winterhoff: Wir müssen über Psyche reden. Das heißt vom Grundsatz her haben Sie und ich die gleich aufgebaute Psyche. Wir sind ja auch zu vergleichbaren Leistungen in der Lage. So können wir arbeiten gehen, Beziehungen leben, Gefühle einschätzen und steuern, Gefühle anderer einschätzen und steuern. Diese Psyche, die wir jetzt brauchen, um so leben zu können, muss aufgebaut werden. Das heißt, sie wird nicht vererbt und sie kommt auch nicht automatisch. Die Psyche sitzt im Gehirn, besteht also aus Nervenzellen. Diese Nerven müssen trainiert werden. Gehen wir in einen anderen Bereich: Lesen und Schreiben. Ich brauche dasselbe A an der Tafel wie im Heft und schreibe A, A, A. Dann wird aus einem Zufallsprinzip heraus eine Nervenzelle sich bereiterklären, für das A zuständig zu sein. Die müssen sie jetzt drei bis fünf Jahre trainieren, bis sie in der Lage ist, automatisch in jeder Handschrift ein A zu erkennen. Das heißt psychische Funktionen wie Frustrationstoleranz, die Fähigkeit, Frustrationen auszuhalten, eine Gewissensinstanz, soziale Fähigkeiten, die müssen eintrainiert werden. Das ist auf der partnerschaftlichen Ebene nicht möglich. Es herrscht heute die Vorstellung vor, dass man über Reden und Begreiflichmachen erziehen könnte. Gehen wir in einen anderen Bereich. Es ist letztendlich egal, ob die Nervenzelle in der Psyche sitzt oder im Bewegungsbereich. Es ist die gleiche. Sagen wir mal Sie wollen Tennis erlernen. Dazu werden Sie zirka zehn Jahre brauchen. Ein Trainer, der Sie als Schüler sieht, der Sie coached, falsche Beinhaltung, falsche Armhaltung, der Ihnen viele Übungen auferlegt, wo Sie sich fragen -Was hat das mit Tennis zu tun? Übertragen wir die Verhältnisse von heute auf Tennis, wäre das ein Trainer, der würde Ihnen erklären, wie man Tennis spielt. Er spielt Ihnen ein paar Mal vor und erwartet dann, dass Sie Tennisspielen können. Und wenn Sie dann den Ball nicht übers Netz schlagen, ist er enttäuscht oder sagt, Sie taugen nichts. So geht man heute in vielen Bereichen mit Kindern um und wundert sich dann, dass diese psychischen Funktionen sich nicht bilden. Das heißt, es geht, wenn Sie Kinder haben, gar nicht um die Frage, Regeln einzubauen, dass diese Kinder sagen wir mal hören und funktionieren. Sie wollen Psyche aufbauen, und das ist ein vollkommen anderer Prozess. Der kann überhaupt nicht gehen über Ratio.
Heinemann: Was ist die Alternative zum Partnerschaftlichen?
Winterhoff: Dass man ein Kind als Kind sieht. Das heißt, ein Tennistrainer: der kann ja 30 Jahre jünger sein als ich. Der kann sich auch mit mir duzen. Aber auf dem Tennisplatz bin ich eindeutig sein Schüler. Das heißt, er sieht mich als Anfänger und wird eben entsprechend mich führen, mich lenken, mich spiegeln. Wenn Sie ein Kind als Kind sehen, werden Sie selbstverständlich zwölf Jahre leisten, bis das Kind duschen kann. Sie müssen ja sehen: Wir duschen automatisch. Wenn Sie mich fragen: Haben Sie sich die Schulter gewaschen?, kann ich Ihnen beruhigender Weise sagen: Ja! Aber ich bin während des Duschens in Gedanken. Das heißt, eine Mutter, die das Kind als Kind sieht, wird es fünf Jahre baden. Zwischen fünf und sieben wird sie Anleitung geben, daneben stehen, und zwischen sieben und zwölf kommt sie immer wieder dazu: Du hast noch Shampoo im Haar! Du musst die Füße waschen! Komm wir schneiden die Fußnägel! Eine Mutter, die das Kind als Partner sieht, wird erklären. Der Fünfjährige wird sagen: Mama, ich kann schon duschen! Er wird auch sehr gut duschen, weil er ja der Mama beweisen will, dass er duschen kann. Aber in Wirklichkeit kann er nicht duschen und die Mama schickt ab dann den Partner nur noch zum Duschen. Ergebnis ist: Ich untersuche sehr viele Kinder heute aus besten Elternhäusern, die letztendlich nicht wirklich geduscht sind.
Heinemann: Das heißt, Autorität gehört zur Erziehung?
Winterhoff: Nein, es gehört ein Gefälle dazu. Das ist ein natürliches Gefälle. Ein Kind ist ein Kind und ein Erwachsener ist ein Erwachsener. Es geht nicht darum, dass ich autoritär bin – da wird es auch in Deutschland schnell vertauscht -, sondern ich bin automatisch über dem Kind stehend und ich habe ja eine Rolle. Ich habe die Rolle als Vater, als Mutter, als Lehrer, als Erzieher. Das ist eine Rolle, und die kann ich nur einnehmen auch in dem Gefälle.
Heinemann: Wie erklären Sie es sich, dass Eltern Partner ihrer Kinder sein wollen oder in den Kindern Partner sehen?
Winterhoff: Wir haben ja eine Gesellschaft, in der fehlt Orientierung, Anerkennung, Sicherheit. Wenn ich das jetzt aufs Kind übertrage, bietet sich das einfach an. Wenn mich da draußen keiner mehr orientiert und führt, dann soll mich mein Kind führen. Wenn da draußen mich keiner liebt, soll mich mein Kind lieben. Und wenn mir keiner sagt, ob ich gut oder schlecht bin, soll jetzt mein Kind mit seinem Verhalten Beweis dafür sein, dass ich gut bin. Das heißt, wenn das Kind sozial klarkommt, in der Schule klar kommt, bin ich eine gute Mutter; ansonsten eine schlechte. Dadurch kommt es zur Macht-Umkehr. Das heißt der Erwachsene wird bedürftig und das Kind soll die Bedürfnisse des Erwachsenen zufriedenstellen. Das ist wie gesagt kein bewusster Prozess, aber der betrifft ja unglaublich viele Erwachsene. Nehmen wir als Beispiel eine Oma. Eine verwöhnende Oma hätte früher für den Enkel das Lieblingsessen gekocht, aber sie hätte gesagt: Du wäschst dir erst die Hände, wir setzen uns an den Tisch, wir fangen gemeinsam an, hören gemeinsam auf! Das heißt sie hat erzogen. Eine Oma, die geliebt werden will, setzt dem Enkel keine Grenzen, weil sie dann Angst hat, dass er sie nicht mehr mag. Bei dieser Macht-Umkehr, die entsteht im Rahmen – man nennt es fachlich der Projektion -, dass ich geliebt werden will, hat das Kind keine Chance auf Entwicklung. Das heißt das kleine Kind hat ja die Vorstellung, es ist alleine auf der Welt, es kann alle steuern und bestimmen. Und wenn sich die Erwachsenen im Rahmen dieser Beziehungsstörung steuern und bestimmen lassen, entsprechen sie ja dem Weltbild des kleinen Kindes. Damit ist eine Weiterentwicklung nicht möglich.
Heinemann: Aber wie gehen wir mit diesen Erkenntnissen um? Irgendwas müssen wir doch anders machen.
Winterhoff: Die Überprüfung ist zunächst einmal: befinde auch ich mich in einer Beziehungsstörung. Das ist der erste Schritt. Und wenn die Beziehungsstörung behoben ist, wenn ich mir darüber im Klaren werde – – Ich denke es ist ja nicht so, dass man bewusst ein Kind hat, um geliebt werden zu wollen, dass man damit in Kauf nimmt, dass das Kind sich nicht entwickeln kann. Das ist ja nicht bewusst. Aber wenn ich mir darüber bewusst werde, dass das nicht funktionieren kann und dass eben die Folge die ist, dass das Kind keine Chance auf Entwicklung hat, kann ich das verändern. Das heißt die Kinder sind nicht dazu da, unsere Defizite, die wir haben, zu füllen.
Heinemann: Können Kindertagesstätten und Grundschulen solche Fehlentwicklungen reparieren, oder sind sie Teil des Problems?
Winterhoff: Die Schwierigkeiten, die wir haben im Bereich Kindergarten und Grundschule, sind die, dass auch dort die Partnerschaftlichkeit als vorrangig gesehen wird. Vor acht bis zehn Jahren wurden Kinder als Kinder gesehen. In einem Kindergarten hatte ich zwei Erzieherinnen. Da muss man sagen zwei Vollkräfte auf 20 Kinder. Die haben die Kinder geführt. Es war ein gleicher Ablauf da, gleiche Zeiten, gleiche Bezugspersonen. Heute werden in diesen Bereichen Kinder als Partner gesehen. Man hat die Vorstellung, sie hätten so etwas wie eine Persönlichkeit. Dazu muss man sagen, dass die Persönlichkeitsentwicklung erst mit dem achten, neunten Lebensjahr beginnt. Und diesen Kindern wird alles offengelassen. Wir haben offene Gruppen. Die Kinder können sich frei im Kindergarten bewegen und aussuchen und das ist ein Konzept, das widerspricht vollkommen neurologischen Grundsätzen. Das führt dazu, dass die Kinder auch in diesen Bereichen sich nicht mehr weiterentwickeln können.
Heinemann: Sie schreiben in Ihrem Buch, Kinder seien die Symptomträger der gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Seit wann ist dieses Phänomen zu beobachten und was hat es ausgelöst?
Winterhoff: Ich beobachte die erste Beziehungsstörung, dass man Kinder als Partner sieht, als Massenprozess seit Anfang der 90er Jahre. Die Beziehungsstörung, dass man von Kindern geliebt werden soll, seit acht bis zehn Jahren. Und es gibt seit vier, fünf Jahren eine noch viel gravierendere Beziehungsstörung: die Symbiose, in der der Erwachsene mit dem Kind verschmilzt.
Heinemann: Und kann man irgendwie sagen, dass das von einem bestimmten Phänomen ausgelöst wurde oder von einer bestimmten Geisteshaltung?
Winterhoff: Die Gefahr, partnerschaftlich zu werden, hat auch etwas mit Wohlstand zu tun. Wir haben Anfang der 90er Jahre einen enormen Wohlstand gehabt und dadurch ist die Gefahr, dass der Erwachsene sich sehr stark um sich dreht, dass er seine eigene Bedürfnisse sieht und dass er dann eben sich auch leisten kann, mit einem Kind partnerschaftlich umzugehen. Ich sehe den Zusammenhang in einem enormen Wohlstand und Sie müssen ja sehen: dieses Problem haben wir nicht nur in Deutschland, sondern das haben wir in allen Wohlstandsländern, wobei ich aus einer Diskussion mit Professorin Ischinger weiß, die die PISA-Studie leitet, dass Deutschland in Europa am meisten betroffen ist.
Heinemann: Herr Winterhoff, für den Schweizer Pädagogen Johann-Heinrich Pestalozzi sollten Eltern gegenüber ihren Kindern vor allem dreierlei aufbringen: Zeit, Zärtlichkeit und Zuwendung. Wie lautet Ihr Dreiklang für die richtige Förderung des Nachwuchses?
Winterhoff: Ich habe noch über keinen Dreiklang nachgedacht. Pestalozzi ist ein Pädagoge. Für mich gibt es eigentlich das Entscheidende. Das ist: ein Kind müsste wieder als Kind gesehen werden. Vor 20 Jahren hatten wir hierzu einen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Von allen Erwachsenen wurden Kinder als Kinder gesehen. Nur wenn man Kinder als Kinder sieht und selbst abgegrenzt ist, dann kann man sich auf Intuition verlassen und dann wird man das leisten, was Kinder brauchen zur Entwicklung. Das heißt viele Eltern, die ich heute sehe und berate, hätte ich vor 20 Jahren nicht kennen gelernt, weil sie vor 20 Jahren in keiner dieser Beziehungsstörungen gewesen wären und sie hätten sich auf Intuition verlassen können.
Heinemann: Der Kinder- und Jugendpsychologe Michael Winterhoff in den “Informationen am Morgen” im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Winterhoff: Ja, danke Ihnen auch, Herr Heinemann!