Götzendienst „freier Markt“ – der Tanz ums goldene Kalb
Götzendienst „freier Markt“ – der Tanz ums goldene Kalb
Nachdem Kaufland seinerzeit nach Stadtratbeschluß in Höchstadt „eingepflanzt“ wurde, schlossen
SPAR-Markt und REWE-Märkte. Ist eben Wettbewerb, lassen Lokalpolitiker lakonisch Kritik an der
konzernhörigen Politik von Stadträten abperlen. Schließlich gäbe es den „freien Markt“. Lokalpolitiker
wissen auch Rat, wie der Einzelhandel vor Ort gegen die Konzernkonkurrenz bestehen könnte: Die
Ladenöffnungszeiten anpassen. Sprich: Länger öffnen. Befürworter verlängerter Ladenöffnungszeiten
berufen sich dabei generell gerne darauf, daß es natürlich jedem Einzelhändler freigestellt sei, ob er
überhaupt und wenn ja in welchem Umfang er länger öffnen möchte.
Untersuchen wir diese „Argumentation“ einmal näher:
Haben Sie sich einmal – von der Backqualität und den Arbeitsbedingungen in manchen Großbetrieben1
abgesehen – überlegt, wieso ein SB-Discounter eine Tüte mit zehn Brötchen u.U. für 1,05 Euro anbieten
kann? „Durch die Freigabe der Ladenöffnungszeiten an Werktagen hat sich der Wettbewerbsdruck im
Einzelhandel generell zwar erhöht, zu einer Umsatzsteigerung trägt sie allerdings nicht bei. Deshalb
wird von vielen Einzelhändlern der Druck auf die Personalkosten erhöht.“2
Damit verbunden ist zudem die Steigerung des Arbeitsdrucks. So werden laut Untersuchungen vor allem in den Abendstunden gerne Aushilfen beziehungsweise geringfügig entlohnte Beschäftigte und/oder Leiharbeiter flexibel eingesetzt – Familienleben, Freizeit-, oder gar Fortbildungsplanung ? Fehlanzeige. „Die Ausweitung der
geringfügig entlohnten Beschäftigung hat zu einem systematischen Abbau von Vollzeitstellen
beigetragen. […] eine schlanke, flexible und kostengünstige Personalstruktur [ist] ein wichtiger Faktor.“3
Dem entspricht ein hoher Anteil an Niedriglohnempfängerinnen und -empfängern. Verbunden sind mit
einer Zunahme an Verkaufsflächen etwa in Shoppingcentern zwar Arbeitsplatzzuwächse, jedoch
konzentrieren die sich eher auf Teilzeitstellen, die in der Regel nicht existenzsichernd sind. Wenn also
Mitbürger sich daran erfreuen, bei einem Discounter endlich aus ein paar weiteren Nudelsorten
auswählen zu können, so sollten sie bedenken: Der Trend zum Lohndumping könnte sehr bald auch den
eigenen Arbeitsplatz betreffen.
Der Mittelstand ist die tragende Säule unserer Gesellschaft
Unser Sozialstaat funktioniert nur so lange, wie ein gesunder Mittelstand existiert. Der selbständige
Mittelstand (etwa 4,1 Mio. Unternehmer) erwirtschaftet mit den Arbeitern und Angestellten nahezu 80%
des Steueraufkommens und zahlt mehr als 60% in die Sozialsysteme. Kapitalgesellschaften hingegen
verlegen seit Jahren ihre Holdinggesellschaften in Steueroasen und entziehen sich so der Sozial- und
Steuerpflicht. Hinzu kommt allerdings, daß Kommunen gerne Steuererleichterungen anbieten, um
„Investoren“ etwa für Logistikzentren oder Shoppingcenter anzulocken. Was das allerdings für die
Arbeitnehmer bedeuten kann, wurde oben ausgeführt. Vergessen werden sollte auch nicht die
mittelstandsfeindliche Politik der EU. So müssen Gemeinden bei Aufträgen, die über eine bestimmte
Höhe hinausgehen, diese europaweit ausschreiben. Die gemeindeansässigen Handwerksbetriebe
schauen dabei in der Regel buchstäblich „in die Röhre“.
Der „freie Markt“ ist ein Mythos
Soviel gleich vorab: Der von den Liberalen ständig geforderte „freie Welthandel“ auf „freien Märkten“
war zu keinem Zeitpunkt wirklich frei – und ist es auch heute nicht. Seine marktradikale Ideologie
basiert auf der Vorstellung, daß gesellschaftlicher „Fortschritt“ auf der Durchsetzung des von jedweder
Einschränkung losgelösten, völlig freien Wettbewerbs beruhe. Nur so komme es zu einem
Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage mit immer besseren und billigeren Produkten und
Dienstleistungen. Tatsächlich dominieren weltweit auf den ungeregelten bzw. unzureichend geregelten
Märkten sog. Oligopole und Monopole. Dank der zunehmenden Auflösung von die einheimische
Wirtschaft schützenden Einfuhr- und Zollschranken können wir eine aggressive Dominaz und
Marktüberlegenheit starker Finanz- und Wirtschaftskreise beobachten, denen die Politik leider immer
wieder zuarbeitet. Durch diese Machtausübung wird der Wettbewerb zunächst verfälscht und dann
endgültig beseitigt. Nach der Doktrin des Marktliberalismus soll sich staatliches Handeln bis hinunter in
die Gemeinde lediglich eine „Nachtwächterrolle“ spielen, sich also nicht in „Marktprozesse“
einmischen. Die negativen Konsequenzen solch „liberaler“ Prozesse hingegen sollen eher mit
Steuergeldern ausgeglichen werden (man verfolge die Entwicklung des ehemaligen Shoppingcenters
Atriums in Bamberg). Der US-Ökonom John Kenneth Galbraith charakterisierte es einmal so: „Die
1
Arbeitswelt : Unser täglich Brötchen, http://www.zeit.de/2008/19/Wallraff-19/komplettansicht
2
Streitthema Ladenschluss: Verlängerte Öffnungszeiten und die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel,
http://www.annotazioni.de/post/1209
3
a.a.O., Streitthema Ladenschluss
Profite werden privatisiert und die Verluste verstaatlicht (d.h. auf die Allgemeinheit der Steuerzahler
abgewälzt)“
Das Menschenbild des „freien Marktes“ entspricht einer Reduktion des Menschen auf die Sicht eines
Humankapitals. Jedoch muß in der Wirtschaft der Mensch eigentlich Mittelpunkt sein, d.h. der Mensch
als Subjekt und nicht Objekt der Wirtschaft gelten! Eine auf dem falschen Menschenbild des
Marktliberalismus aufgebaute Wirtschaftsordnung muß als unmenschlich gebrandmarkt werden.
Hingegen muß die Dreidimensionalität des Menschen – individuelles und soziales Wesen, geöffnet zur
Transzendenz, also als Person – auch Grundlage im Wirtschaftsleben sein.
Wir lassen sie verhungern!
Bekannt ist seit langem auch, daß unser Geiz NICHT geil ist – an ihm verhungern viele Menschen in der
Welt. Billige Lebensmittel oder Textilien mit ihren Dumpingpreisen sind nicht nur billig, weil sie auf
Kosten der Produzenten, Lieferanten und schließlich der ArbeiterInnen ausgetragen werden. Es werden
damit auch hierzulande Maßstäbe für Arbeitsbedingungen gesetzt. Billig zahlen wir auch über unsere
Steuergelder mit: Wenn die EU Lebensmittelieferungen nach Afrika oder Indien subventioniert und dort
Märkte zerstören hilft. Konzerndiktierte offene Märkte und Niedrigpreise, die beim Käufer „Lust“ auf
Schnäppchen machen können, bedeuten allerdings nicht nur bei Erzeugern in Anbauregionen massive
Einkommenseinbußen.
Ausweg: Rückkehr zur „Sozialen Marktwirtschaft“
Die „soziale Marktwirtschaft“ gilt als jene Wirtschaftsordnung, in der Marktwirtschaft und sozialer
Ausgleich eine Verbindung eingegangen sind. Ein wesentlicher Pfeiler unseres Wohlstandes ist die
Unterstützung vor allem mittelständischer Unternehmen. Mittelständische Unternehmen sind eine
Produktionsgemeinschaft von Menschen, mit Menschen, für Menschen. Hintergrund sind das christliche
Menschenbild und die Prinzipien der humanistisch-liberalen Gesellschaftslehre. Die
gesellschaftstragende und demokratiestützende Bedeutung des mittelständischen Inhaberunternehmens
in Deutschland besteht vor allem auch darin, daß hier Erträge, Abgaben und Sozialleistungen
erwirtschaftet werden, die allen zugute kommen.
Die Angriffe auf Freiheit, Vermögen und Eigentum des Mittelstandes müssen nicht nur als Angriff auf
eine einzelne Gesellschaftsgruppe verstanden werden, sondern es handelt sich hierbei um einen Angriff
auf die Basis unserer freiheitlichen Ordnung, der auf individuellem Eigentum und persönlicher Freiheit
beruhenden Demokratie und Marktwirtschaft. Sie sind ein Angriff auf die Rechtsgrundlage der
gesamten Bevölkerung. Denn zerfällt der Mittelstand, haben wir wieder eine duale Gesellschaft von
Ober- und Unterschicht. Das wäre das Ende der selbstverantwortlichen bürgerlichen Gesellschaft.
Marktwirtschaft kann sich ohne Mittelstand nicht halten, wird immer zu Machtwirtschaft, zur
Konzernwirtschaft oder zur privaten oder staatlichen Monopolwirtschaft.
„Die christliche und humanistisch-liberale Gesellschaftslehre betont daher die Personalität des
Menschen. Er darf weder Knetmasse in den Händen kollektivistischer Gesellschaftsplaner noch
ausbeutbares Subjekt ökonomischer Partikularinteressen und von Politikern sein, die Umverteilung
bereits für eine tragfähige Sozialpolitik halten. … Eine Gemeinschaft ist mehr als die Ansammlung von
Individuen. Der Mensch als »soziales Wesen« ist durchaus bereit, Gemeinsinn in eine Gemeinschaft
einzubringen. Ohne Gemeinsinn kann keine Gesellschaft auf Dauer überleben. Die Doppelnatur des
Menschen – frei sein zu wollen, um sich bewähren zu können, und sich zugleich in einer Gemeinschaft
aufgehoben zu wissen und sich auch für sie einzusetzen – ist die Grundlage der Sozialen
Marktwirtschaft.“4
Hieß es zu Recht nach dem II. Weltkrieg: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen
Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das
Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk
eine Wirtschaftsordnung und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen
entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äusseren
Frieden sichert.“5
© Werner Schramm 12/2015
4
Jenaer Aufruf zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft http://www.jenaerallianz.de/index.php?id=5245
5
Das Ahlener Programm der CDU der britischen Zone vom 3. Februar 1947, http://www.kas.de/wf/de/33.813/