KSK Austellung Kinderzüge in die Schweiz
Erinnerungen an eine freundliche Schweiz
Ausstellung in Kreissparkasse Höchstadt über Rot-Kreuz-Projekt eröffnet: Kinder aus der Region aufgenommen
Besucher der Ausstellung in der Kreissparkasse tauschten ihre Erinnerungen an die Schweiz der Nachkriegszeit aus. Foto: Rudolph
HÖCHSTADT (anu) – Obwohl ihr dreimonatiger Aufenthalt in der Schweiz schon Jahrzehnte zurück in der Kindheit liegt, kann sich Irene Scharrer noch sehr gut an die Zeit erinnern: »Es ist unglaublich, wie herzlich ich aufgenommen wurde.« Die Weißenburgerin nahm als Neunjährige im Nachkriegsdeutschland an einem relativ unbekannten Hilfsprojekt des Roten Kreuzes teil. Eine Ausstellung in der Kreissparkasse erzählt die Geschichte von rund 20 Zeitzeugen aus der Region.
Werner Schramm vom Aischtaler Filmtheater Höchstadt hat die kleine, aber sehr informative Schau zum 100. Todestag von Henri Dunant konzipiert – auch um »eine Lanze für die Schweiz zu brechen und viele Vorurteile aus dem Weg zu räumen«. Die Schweiz habe schon während des Zweiten Weltkriegs Kinder aus Frankreich aufgenommen und sofort nach Kriegsende auch Kinder aus Deutschland, erklärte Schramm bei der Ausstellungseröffnung. Organisiert wurden die Transporte vom Roten Kreuz, doch für die Verpflegung der Kinder kamen die Schweizer Familien – vom Bauern bis zum Bankier – selbst auf.
Durch einen Aufruf in der Gesamtausgabe der Nürnberger Nachrichten konnte Schramm vor einigen Monaten 20 Zeitzeugen aus Nordbayern ermitteln, die für die Ausstellung ihre Erinnerungen erzählten sowie Fotos und andere Dokumente zur Verfügung stellten. Zehn Teilnehmer der Kindertransporte waren auch bei der Vernissage anwesend und rührten die Gäste mit ergreifenden Schilderungen.
Christoph Tietze aus Sebnitz bei Ochsenfurt oder Gilbert Kutscher aus Nürnberg: Sie lobten die außergewöhnliche Gastfreundschaft der Schweizer Familien, denen sie sich bis heute sehr verbunden fühlen. »Wir haben mit der Familie bis zu ihrem Tod guten Kontakt gehalten, sie haben meinem Mann und mir sogar die Hochzeitsreise durch die Schweiz finanziert«, erzählte Irene Scharrer, die Anfang 1951 im Alter von neun Jahren drei Monate im Kanton Thurgau verbrachte. Als Flüchtlingskind aus Schlesien hatte sie viel Not erlebt.
»Ich hatte zwar Heimweh, aber genoss natürlich auch, dass es alles gab.« Die Kinder wurden neu eingekleidet, besuchten die Schule und durften sich an Dingen erfreuen, die es im Nachkriegsdeutschland nicht gab – Kinderfahrräder etwa.
Insgesamt wurden zwischen 1945 und 1956 rund 50 000 deutsche Kinder in die Schweiz gebracht, mancher konnte dadurch auch traumatische Erlebnisse verarbeiten, berichtet Werner Schramm, der noch Filme zum Thema Schweizer Hilfsprojekte zeigen möchte. Nicht nur Kreissparkassen-Direktor Herbert Fiederling, lobte das Engagement, auch der Geschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Erlangen-Höchstadt, Jürgen Üblacker, bedankte sich bei Schramm. »Viele wissen nichts von diesem Akt der Menschlichkeit, den die Schweiz damals geleistet hat.« Das oft im Verborgenen wirkende Rote Kreuz stehe nach wie vor unter Dunants Leitspruch »Wir alle sind Brüder!«. Insofern setze sich die 150 Jahre alte Organisation, so Üblacker weiter, für die Einhaltung der Völkerrechte und ein Verbot von Massenvernichtungswaffen ein.
Auch Eberhard Irlinger sah in dem beispielhaften Wirken einen Auftrag für heute: »Wir müssen die vorbildliche Leistung der Schweiz nicht nur würdigen, sondern in einen aktuellen Zusammenhang stellen«, meinte der Landrat und forderte, die eigene Haltung gegenüber Flüchtlingen zu überdenken. »Deutschland gewährt Kindern von Asylbewerbern immer noch nicht die Rechte, die ihnen eigentlich zustehen.«
Werner Schramm freute sich, dass bei der Ausstellungseröffnung auch die Zeitzeugen untereinander ins Gespräch kamen. Nur von den eingeladenen Schulen hätte er sich mehr Resonanz für das Thema Kindertransporte und allgemein für die Materialien zur Geschichte des Roten Kreuzes erwartet; vertreten waren nur die Grundschule Süd Höchstadt und das Gymnasium Herzogenaurach.
Info: Die Ausstellung ist für drei Wochen in der Kreissparkasse Höchstadt zu sehen; danach wandert sie ins BRK-Heim Etzelskirchen. Mehr bei Werner Schramm 09193/508705.
Nordbayerische Nachrichten, Herzogenaurach 25.6.2010
Bewegende Veranstaltung im BRK-Alten- und Pflegeheim Etzelskirchen (Höchstadt/Aisch) Hand auf s Herz, würden sie jemandem helfen, der sie bis vor kurzem noch bedroht hat? Würden sie sich liebevoll um seine Kinder kümmern, alle Kosten für sie übernehmen und sie dabei nie spüren lassen, dass sie Fremde sind? Nun, viele Schweizer haben genau das getan. „Alle Menschen sind Brüder!“ – dieser Leitspruch von Rot Kreuz Gründer Henry Dunant, haben sie gelebt und umgesetzt. Für fast 44 000 deutsche Kinder waren sie für drei Monate nach dem 2. Weltkrieg Retter in der Not. Der Dank? Die 78-jährige Heimbewohnerin Annemarie Böhringer hat zwar nicht als Pflegekind in der Schweiz gelebt, arbeitet aber mit 20 Jahren in Zürich drei Jahre lang als Haushälterin und konnte nur bestätigen, dass die Schweizer außerordentlich nette und zuvorkommende Menschen sind, die sie immer als eine der ihren aufgenommen hat. Begeistert hörte sie zu, als Christoph Tietze und Marita Weber von ihrem Aufenthalt in der Schweiz erzählen. Beide hatten als Kinder die Schrecken der Vertreibung und die gefährliche Flucht überlebt. Christoph Tietze und sein Zwillingsbruder Wolfram waren die jüngsten von fünf Kindern gewesen und waren nach ihrer langen und beschwerlichen Flucht so dünn, dass die Bäuerin, wo die Familie untergekommen war, heulen musste, als sie die Mutter beim Waschen der Kinder gesehen hat. Schnell brachte sie Brot, Butter und Kartoffeln. Die Schulärztin schickte beide Brüder dann in die Schweiz. Dort kommen sie zu Familie Hüni, ein kinderloses Ehepaar, die sich rührend um die Beiden kümmerte. Es waren nicht die ersten Kinder, die dieses Paar aufgenommen hatte, sondern Nummer fünf und sechs. In einem kleiner Haus konnten sich die beiden Buben von den Kriegsstrapazen erholen, oder wie Herr Tietze es ausdrückte: „Etwas besseres hätte uns nicht passieren können!“ Die Tante und der Onkel Hüni wurden für beide Kinder bald zur Ersatzfamilie, die nicht nur für die körperliche Verpflegung aufkam, sondern auch Ausflüge mit den Beiden unternahm und sie so all die schrecklichen Kriegserlebnisse vergessen ließen. Der Kontakt zwischen diesen vier Menschen brach nie ab, solange sie lebten. Und bald will Christoph Tietze die Kinder der Hüni s besuchen, die diese 15 Jahre später doch noch bekamen, und ihnen von ihren großzügigen Eltern aus seiner Sicht erzählen. Der Kontakt zwischen Marita Weber und ihren Pflegeltern ist leider in den Wirren der Nachkriegszeit abgebrochen, aber als sie anfängt von ihrer Zeit dort zu erzählen, spüren alle Besucher der Ausstellung, dass es wunderschöne Tage für das kleine Mädchen Marita gewesen sein müssen. In einem kleinen Dorf auf dem Lande hatte sie das Glück zu einer Bauernfamilie zu kommen, die viele Tiere und vor allem Pferde hatten, auf denen sie täglich reiten dürfte. Sie beschreibt die Schweizer mit drei Worten: „Freundlich, frei und offen!“ Die Heimbewohner von Etzelskirchen hörten dem Vortrag aufmerksam zu und fühlten sich oftmals erinnert an ihre eigene Jugend, die geprägt war von Schrecken und Entbehrungen der Kriegsjahre. „Mit unseren Ausstellungen und Veranstaltungen wollen wir die Vergangenheit unserer Heimbewohner würdigen und nicht in Vergessenheit geraten lassen“, so Heimleiter Jürgen Ganzmann. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz setzt sich seit 1945 für die Abschaffung von Atomwaffen ein. „Auf tragische Weise wird uns bei den aktuellen Ereignissen in Japan wieder bewusst, wie bedrohlich diese sind“, so BRK-Kreisvorsitzender ERH (Franken) Jürgen Üblacker. Die Schlacht von “Solferino” (gleichnamiges Buch) ging in die Geschichte ein. |
Das Rote Kreuz wird oft nur in Verbindung mit Blaulicht und Martinshorn gesehen. Nun wurde eine Ausstellung in den Räumen der Sparkasse Höchstadt auch in Anwesenheit zahlreicher Zeitzeugen der Kinderzüge des Roten Kreuzes in die Schweiz zwischen 1946-56 eröffnet. Damit soll das Werk des Schweizers Henry Dunant (1828 – 1910) gewürdigt werden, der 1863 unter dem Namen „Internationales Komitee vom Roten Kreuz“ ein Hilfswerk für Verwundete gründete. 1901 erhielt er gemeinsam mit dem Pazifisten Frédéric Passy den ersten Friedensnobelpreis. (http://www.dunant2010.ch).
Im Rahmen von einleitenden Ausführungen ging zunächst der Dank an Herbert Fiederling, daß er für die Sparkasse dieser Thematik die Plattform zur Verfügung stellt sowie an Frau Laaser, die diese organisiert hat. Werner Schramm vom Aischtaler Filmtheater, auf den die Initiative zu dieser Ausstellung zurückgeht, kam über das Buch „Not und Hoffnung“ von Bernd Haunfelder dazu, der großzügigen Hilfeleistung der Schweizer Bevölkerung an die Kinder in und aus dem zerstörten Deutschland zu gedenken, nach Zeitzeugen zu suchen und sie auch zu finden. Etwa 20 Zeitzeugen haben sich gemeldet, wovon zehn bei der Ausstellungseröffnung anwesend waren. Dunants Werk, so Werner Schramm weiter, ist nicht denkbar ohne seine auf christlichem Fundament beruhenden
Werte: Mut, Kreativität, unerschütterlicher Glaube, Entschlossenheit, Hartnäckigkeit, Überzeugungskraft. Sie zeigen sich in Dunants Grundeinstellungen zu Humanität, Solidarität und Zivilcourage. Besonders konsequent in die Realität und in konkrete Hilfe übersetzt wurde der Grundsatz der Humanität vom Roten Kreuz. „Siamo tutti fratelli“ (Wir sind alle Brüder), begriffen auch die Einheimischen von Solferino, wo seinerzeit eine grauenhafte Schlacht tobte, als sie Dunant, den aus Genf kommenden, wohlhabenden jungen Mann, wirken sahen. Auch heutzutage wirken Mitarbeiter des Roten Kreuzes sowohl im internationalen – oft unter Einsatz ihres Lebens – als auch im nationalen Rahmen bei Katastrophen, Kriegen aber auch in der Hilfe für Familien und Senioren.
Jürgen Üblacker bei der Eröffnung der Ausstellung
Diesen Ausführungen schloß sich Jürgen Üblacker vom BRK an und thematisierte ebenfalls den Gedanken der Humanität, der die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht umfasst, sowie die allgemeine Menschenwürde und den Pazifismus, besonders die Ablehnung des Angriffskrieges. In Hinblick auf den bevorstehenden Hiroshimatag machten sowohl Werner Schramm als auch Jürgen Üblacker deutlich, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bereits am 5. September 1945 den Wunsch eines Verbotes von Nuklearwaffen äußerte. Der derzeitige Präsident Jakob Kellenberger hat in seiner Stellungnahme vor dem Diplomatischen Corps in Genf am 20. April 2010 gefordert:
„Setzen wir der Ära der Atomwaffen ein Ende!“ Und weiter: „Seit 1948 hat die ganze Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung anlässlich ihrer internationalen Konferenzen das Verbot von Massenvernichtungswaffen im allgemeinen und von Nuklearwaffen im besonderen gefordert. … Recht, sei es vertraglich festgelegt oder Gewohnheitsrecht, ist machtlos angesichts der totalen Vernichtung, die der Einsatz solcher Waffen bedeutet..“
Diese Ausführungen stießen bei der versammelten Zuhörerschaft auf breite Zustimmung. Jedoch auch unterhalb der Schwelle eines atomaren Erstschlags stellen die bereits etwa in Afghanistan, Irak, Kroatien, Serbien und Kosovo eingesetzten Uranwaffen über die radioaktiven Stäube und verseuchten Wasserreserven auch eine nichtabschätzbare Gefährdung der Helfer des Roten Kreuzes dar. Grundsätzlich ist der Einsatz von Atomwaffen nicht mehr eine Frage der Entscheidung eines einzelnen Staates, denn jeder Einsatz gefährdet grundsätzlich unser aller Existenz.
Dazu noch einmal Jakob Kellenberger: „Die Existenz von Nuklearwaffen wirft einige der fundamentalsten Fragen auf: An welchem Punkt müssen die Rechte der Staaten den Interessen der Menschheit weichen, wie weit ist unsere Gattung in der Lage, die Technologien, die sie schafft, zu beherrschen, Fragen zur Reichweite des Humanitären Völkerrechtes und zum Ausmass menschlichen Leids, das wir bereit sind zuzufügen oder zuzulassen.“
Diese Debatte muss die Menschen, die grundlegenden Regeln des Humanitären Völkerrechts und die kollektive Zukunft der Menschheit in den Mittelpunkt stellen. Das Leiden, das der Einsatz von Nuklearwaffen verursacht, wird durch die Zerstörung der Infrastruktur für Notfälle und medizinische Hilfe noch exponentiell verschlimmert. … Überleben sie diese Bedrohungen, dann mit einem erhöhten Risiko, gewisse Krebserkrankungen zu entwickeln und ihren Nachkommen genetische Schäden weiterzugeben. Im Laufe der Zeit wird der Verlust an Menschenleben damit noch weit grösser. … Betrachtet man die aktuellen weltweiten Kriegsschauplätze, so sei in disem Zusammenhang an einen Auspruch Henry Dunants erinnert: „Hindernisse überwindet nur, wer sich überhaupt auf den Weg macht!“ Nach Jakob Kellenberger „[…] liegen die zentralen Ursachen für den Mangel an Einhaltung des Humanitären Rechtes am Mangel an politischem Willen, am Fehlen von Prävention und Kontrolle und fehlender Rechenschaftspflicht.“ Landrat Eberhard Irlinger würdigte in seinem Redebeitrag die Rettungsaktion der Schweizer Bevölkerung für die Kinder nach dem 2. Weltkrieg und warf dabei zugleich die Frage auf, was wir heute bereit sind für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten zu tun, wie es mit unserer Zivilcourage gegenüber ausländischen Mitbürgern bestellt ist. In der Ausstellung sind neben Darstellungen von Aktionen und Ausstellungen des Dunant-Museums in Heiden (Schweiz) vor allem Brief- und Fotodokumente der Zeitzeugen dieser bewegenden Hilfsaktion zu sehen. Obwohl die Schweizer Bevölkerung sehr unter dem 3. Reich gelitten hat, ermöglichte sie den notleidenden
Kinder durch die Organisation von Schulspeisungen in Deutschland aber auch durch Aufenthalte in der Schweiz für jeweils drei Monate eine köperliche und psychische Erholung. Haunfelder schreibt dazu: „Das erste Land, das der hungernden deutschen Bevölkerung nach dem Krieg half, war die Schweiz. Seit Anfang 1946 erhielten mehr als zwei Millionen Kinder der britischen, französischen und sowjetischen Zone täglich Speisungen. Dazu waren Ovomaltine, Kakao und Schokolade heiss begehrt. Ausserdem gelangten zehntausende Tonnen Medikamente, Kleidung und Paketsendungen nach Deutschland.
[…] Mehr als 44 000 unterernährte und kranke deutsche Jungen und Mädchen reisten von 1946 bis 1956 zu einem dreimonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz.“ Gezeigt werden neben Ausschnitten aus der Arbeit des Roten Kreuzes und den persönlichen Stellungnahmen von Zeitzeugen aus dem Umkreis von Ochsenfurt, Nürnberg, Ebermannstadt und Kronach auch Unterrichtsmaterialien des Schweizer Roten Kreuzes zur Konfliktbewältigung, Schulung des Einfühlungsvermögens und Friedensarbeit für verschiedene Alters- und Schulstufen. Die Materialien wurden entwickelt für die „Aktionswoche Schulen AR | Heiden“ unter dem Motto „Solidarität-Humaniät-Zivilcourage versus Rassismus und Ausgrenzung“.
Auf einem Plakat werden „Tische für private Friedensgespräche“ gezeigt, die die Form eines Roten Kreuzes haben. Weiße Sitzbänke ergänzen die Skulptur zum weltbekannten Emblem. Platziert an verschiedenen Standorten in Parks und öffentlichen Plätzen in Heiden, schaffen sie einen „geschützten Rahmen“, an dem die privaten Friedensgespräche stattfinden sollen. Die roten Tische sollen über die Region hinaus wirken und nicht nur hier, wo Henry Dunant gelebt hat, Gelegenheit und Anstoß geben, Konflikte zu lösen. Einzelne in Heiden platzierten Tische werden verschenkt. Es werden Städte gesucht, die einen Tisch als sichtbares Friedensangebot an einer prominenten Stelle platzieren möchten. Vielleicht in der Nähe eines Kunst- oder Kulturraumes, bei einer Kirche, in der Umgebung eines Museums, etc. (http://www.dunant2010.ch/kunstaktion/).
In sehr persönlichen Stellungnahmen schilderten Zeitzeugen, was sie vom Auffenthalt in der Schweiz bis heute gefühlsmäßig trägt. Ein Beispiel: „Neugierig und erwartungsvoll fuhr ich in die Schweiz. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Menschen dort strahlten eine Gelassenheit, Zufriedenheit, Ruhe und Wärme aus, das war nicht zu übersehen. Sie hatten jede Menge Zeit für mich, das war alles neu und angenehm für mich. Als ich älter wurde begriff ich dieses Selbstbewußtsein der Schweizer, denn es geht dort demokratischer zu als bei uns. Die Bürger haben was zu sagen und dürfen bestimmen.“ Die Schweiz hatte übrigens bereits während des 2. Weltkrieges auch Kinder aus Frankreich aufgenommen, obwohl die Ernährungslage aufgrund der Umzingelung durch die Kriegsmächte prekär war. Erlebt haben die deutschen Kinder nach dem Krieg in der Regel Dorfgemeinschaften der Solidarität und des Wohlwollens, eines Miteinanders, das in die Familien hineinwirkte. „In diesem kleinen Haus der Familie … war eine unendliche Liebe daheim und ließ in uns Flüchtlingskindern eine lange nicht mehr gekannte Geborgenheit und ein grenzenloses Glücksgefühl entstehen. Insgesamt durften hier sechs deutsche Flüchtlingskinder dieses Gefühl erleben. Gerne halfen wir bei der Küchenarbeit, ob beim Kartoffelschälen, Feldsalatputzen usw.. Besonderen Spaß machte es in der schon leicht wärmenden Frühlingssonne,“ schildert ein anderer Zeitzeuge. „Zum Abschied bekam ich von … eine Armbanduhr geschenkt, die ich bis nach dem Abitur im Jahre 1958 hatte. Ferner erhielt ich von … einen braunen Anzug, meinen ersten Anzug.“ Die Kontakte zu den ehemaligen Gasteltern sowie ihren Kindern hielt meist ein Leben lang. Die Zeitzeugen möchten mit ihren Schilderungen auch den in der deutschen Bevölkerung geschürten Vorurteilen gegenüber der Schweiz entgegentreten („Die Indianer jodeln in ihrer Alpenfestung“ FAZ, „Die satten Gnome vom Zürisee verteidigen ihr parasitäres Bankgeheimnis, das angemaßte Existenzrecht eines ganzes Landes als Schwarzgeld-Safe der Diktatoren und Zumwinkels dieser Welt – ständige Einladung zum Rechtsbruch daheim.“ Stern). Obwohl alle Schulen in Höchstadt zur Ausstellungseröffnung eingeladen waren und die Begegnung mit den Zeitzeugen für Schüler sicherlich ein persönlicher Gewinn gewesen wäre, erschien lediglich eine Lehrerin. Auf Unverständnis der von den Schilderungen der Zeitzeugen sichtlich bewegten Zuhörer stieß, daß Schulen auf die Einladung entweder überhaupt nicht reagiert haben und in einem Fall sogar von explizitem Desinteresse berichtet wurde. Die Ausstellung wird etwa drei Wochen in der Halle der Sparkasse zu sehen sein.
Werner Schramm
Zum 100. Todestag von Henry Dunant – Hilfe für deutsche Kinder durch das Rote Kreuz und die Schweizer Bevölkerung nach dem Krieg
Werner Schramm und Jürgen Üblacker
Die Gründung des Roten Kreuzes erfolgte in einer Zeit, da in Europa Machtkonstellationen in grausamen Kriegen ausgefochten wurden und Erbfeindschaften zwischen Völkern bestanden. Jürgen Üblacker, Geschäftsführer des Kreisverbandes Erlangen-Höchstadt des Bayerischen Roten Kreuzes, wies im Aischtaler Filmtheater anläßlich der Aufführung des Spielfilms „Rot auf dem Kreuz“ über das unermüdliche Engagement des Schweizers Henry Dunant darauf hin, daß auch in den gegenwärtig inszenierten Kriegen zahlreiche Verstöße gegen die Genfer Konventionen zu verzeichnen sind. So versuchten seinerzeit die USA zunächst dem Roten Kreuz die Hilfeleistung für die Kriegsopfer im Irak zu erschweren. Ergänzend fügte Werner Schramm hinzu, daß die US-Bomben 2001 auf ein eindeutig gekennzeichnetes Lagerhaus des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK in Kabul offensichtlich bezwecken sollten, daß die Hilfsgüter keinesfalls „Taliban“ zur Verfügung stehen. Henry Dunant hatte hingegen die strikte Neutralität der Hilfe für alle Kriegsbetroffenen in den Vordergrund gestellt. Sein „Wir alle sind Brüder“ hatte damals die Menschen im Kriegsgebiet hin zu kooperativem Handeln buchstäblich elektrisiert.
Nach den Genfer Konventionen sind „Waffen, die unnötige Leiden oder massive Umweltschäden verursachen, verboten. Darunter fallen zum Beispiel biologische und chemische Waffen, Antipersonenminen und Brandwaffen.“ 2006 ratifizierten 151 Staaten ein Abkommen über Landminen. Ein Manko des Vertrages ist allerdings die Nichtbeteiligung der wichtigsten Minen-Herstellerländer. Es gebe also noch viel zu tun, so Jürgen Üblacker, und wir Bürger sollten uns nicht entmutigen lassen, denn „steter Tropfen höhlt den Stein“. Erwähnung fand auch Jakob Kellenberger, derzeitiger Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK. Er sieht auch gegenwärtig dringenden völkerrechtlichen Handlungsbedarf: „…Die zentralen Ursachen für den Mangel an Einhaltung des Humanitären Rechtes [liegen] am Mangel an politischem Willen, am Fehlen von Prävention und Kontrolle und fehlender Rechenschaftspflicht.“ Unser aller Zukunft hängt davon ab, statt mit noch mehr Rüstung zu friedlichen Konfliktlösungen zu kommen. Dem schlossen sich die Zuschauer gerne an.
Werner Schramm https://roteskreuzerh.wordpress.com/tag/werner-schramm/
Rotes Kreuz: Die Zukunft vorbereiten
Den politischen Willen für Einhaltung des Internationalen Humanitären Rechtes schaffen
60 Jahre Genfer Konventionen und die kommenden Jahrzehnte
Rede von Jakob Kellenberger, Präsident des IKRK, an der Konferenz über die Herausforderungen, die neue Bedrohungen, neue Akteure und neue Mittel und Methoden der Kriegsführung an das Humanitäre Völkerrecht stellen, organisiert durch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit dem IKRK, Genf, 9. und 10. November 2009
ev. Aus Anlass des 60jährigen Bestehens der Genfer Konventionen organisierte die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz IKRK am 9. und 10. November in Genf eine Expertenkonferenz zum Thema «60 Jahre Genfer Konventionen und die kommenden Jahrzehnte». Es ist dies einer der Beiträge, mit denen die Schweiz ihrer Verpflichtung gemäss Artikel 1 der Genfer Konventionen und des I. Zusatzprotokolls nachkommt, die von allen Staaten verlangen, das Humanitäre Völkerrecht einzuhalten und für seine weltweite Einhaltung zu sorgen.
Die Konferenz richtete sich an diplomatische Vertretungen sowie Expertinnen und Experten aus den Hohen Vertragsparteien. Eingeladen waren auch internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich des Humanitären Völkerrechts und Wissenschaftler. Kernthema waren die neuen Herausforderungen, denen sich das Humanitäre Völkerrecht heute gegenübersieht. Sie befasste sich mit verschiedenen Aspekten rund um die Frage, wie weit die seit 1949 erfolgten Entwicklungen im Anwendungsbereich des Humanitären Völkerrechts – den bewaffneten Konflikten – auch eine Anpassung der Regeln des Völkerrechtes erforderlich machen. In seiner nachfolgend wiedergegebenen Eröffnungsrede umreisst Jakob Kellenberger, Präsident des IKRK, die Problemstellungen für das Humanitäre Völkerrecht und die an der Konferenz aufgeworfenen Fragen.
Frau Bundesrätin,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren
Ich möchte dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten danken, dass es sich mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) für die Organisation dieser Konferenz zusammengeschlossen hat. Das IKRK hat bei der Gestaltung des Programms und bei der Bereitstellung von Hintergrundpapieren für die Workshops mitgearbeitet.
Bevor ich mich den Hauptfragen dieser Konferenz zuwende, möchte ich betonen, dass die Tatsache, dass wir uns heute mit künftigen Herausforderungen an das Humanitäre Völkerrecht auseinandersetzen, in keiner Art und Weise bedeutet, dass die Grundprinzipien und Regeln dieses Teilgebietes des Völkerrechtes überholt wären. Das Prinzip der Menschlichkeit, dem unabhängig von der Art des jeweiligen bewaffneten Konfliktes die Behandlung jeder Person in den Händen eines Feindes unterliegt, und das in zahlreichen Regeln des Humanitären Völkerrechtes zum Ausdruck kommt, bleibt die Basis. Gleichermassen darf auch das Prinzip der Unterscheidung [zwische Zivilisten und Kombattanten, zivilen und militärischen Objekten, Anm. der Red.] nicht verletzt werden. Die zahlreichen Regeln über das Verhalten bei Feindseligkeiten, die auf dieser Grundsätzen ausgearbeitet wurden, bleiben Grundbestandteil für den Schutz von Zivilpersonen. Kurz: die bestehenden Prinzipien des humanitären Rechtes müssen gewahrt bleiben. Welche Entwicklungen das Humanitäre Völkerrecht in Zukunft auch immer erfahren mag, es darf nichts zugelassen werden, was den bereits bestehenden, vom Humanitären Völkerrecht vorgesehenen Schutz für Personen, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind, gefährdet oder aushöhlt.
Meine Damen und Herren,
bewaffnete Konflikte haben sich in den vergangenen 60 Jahren enorm weiterentwickelt und sowohl die Grenzen zwischen den verschiedenen Parteien eines bewaffneten Konfliktes als auch diejenigen zwischen Kombattanten und Zivilisten haben sich zunehmend verwischt. Mehr und mehr sind zivile Männer, Frauen und Kinder die hauptsächlichen Opfer geworden. Das Humanitäre Völkerrecht ist dieser sich ändernden Realität notwendigerweise angepasst worden. Die Annahme der ersten zwei Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention im Jahre 1977 mit den durch sie festgesetzten Regeln über das Führen von Feindseligkeiten und über den Schutz von Personen, die von nicht-internationalen bewaffneten Konflikte betroffen sind, ist nur ein Beispiel. Spezielle Normen, die Waffen wie Antipersonen-Minen und in jüngerer Zeit die Cluster-Munition verbieten oder reglementieren, sind ein weiteres Beispiel für die Anpassungsmöglichkeit des Humanitären Völkerrechts an die Realitäten vor Ort.
Die traumatischen Ereignisse des 11. September 2001 und ihre Nachwirkungen stellten das Humanitäre Völkerrecht auf eine neue Probe. Die Polarisierung der internationalen Beziehungen und die humanitären Konsequenzen dessen, was man als «Globale Kriege gegen den Terror» bezeichnet hat, haben eine gewaltige Herausforderung dargestellt. Die Ausbreitung und Aufsplitterung von nicht-staatlichen bewaffneten Gruppierungen, von denen einige die Prämissen des Humanitären Völkerrechtes ablehnen, haben eine weitere Herausforderung dargestellt.
Das Humanitäre Völkerrecht hielt all diesen Herausforderungen stand; es hat sein Ansehen unversehrt gewahrt und seine Zweckmässigkeit und Anpassungsfähigkeit als rechtlicher Rahmen für den Schutz der Opfer von bewaffneten Konflikten erneut bestätigt. Gleichzeitig ist immer offensichtlicher geworden, dass gewisse Aspekte der Klärung bedürfen. Damit besteht eine Notwendigkeit, die weitere Entwicklung des Humanitären Völkerrechts in bestimmten Bereichen ernsthaft ins Auge zu fassen, ich werde auf diesen Punkt weiter unten zurückkommen.
Der Charakter bewaffneter Konflikte und die Gründe und Konsequenzen solcher Konflikte werden sich weiterentwickeln, und es ist unerlässlich, dass sich auch das Humanitäre Völkerrecht weiterentwickelt. Die entscheidende Frage ist, wie genau es das tun soll. Diesbezüglich sollten unsere gemeinsamen Überlegungen während dieser Konferenz dahingehen, Möglichkeiten – und Beschränkungen – weiter zu erkunden.
Einige Bemerkungen zu jedem der heute Nachmittag stattfindenden vier Workshops: Erstens, was verstehen wir eigentlich unter «neue Bedrohungen»? Für unsere heutigen Zielsetzungen wird der Begriff «neue Bedrohungen» verwendet, um sowohl bestehende Bedrohungen, die sich in den nächsten Jahrzehnten intensivieren können, als auch neu aufkommende Bedrohungen zu erfassen – speziell jene, die zu Situationen kollektiver Gewalt führen können, zu denen auch bewaffnete Konflikte gehören. Dazu können Bevölkerungswachstum und Verstädterung, die Knappheit natürlicher Ressourcen und die wachsenden Ungleichheiten bei der Verteilung des Wohlstandes, ökologische Risiken, failed States und transnationale Aktivitäten krimineller Gruppen, darunter auch jene, die terroristische Methoden einsetzen, gehören.
Beim Analysieren der Gründe und Formen der Gewalt, deren Auftreten man zukünftig erwartet, und bei der Frage, ob das Humanitäre Völkerrecht als Folge dessen angepasst werden sollte, werden die Teilnehmer mit einer Reihe anspruchsvoller Fragen konfrontiert werden. Was werden in den nächsten paar Jahrzehnten die Hauptgefahren für Frieden und Sicherheit in der Welt sein und zu welchen Formen bewaffneter Gewalt werden sie führen? Wie können sich Staaten, internationale Organisationen, humanitäre und Entwicklungsorganisationen und Instanzen darauf vorbereiten, die Bedürfnisse der Menschen zu decken, die von zukünftigen Gefahren für Frieden und Sicherheit betroffen sind, insbesondere von Situationen kollektiver Gewalt einschliesslich bewaffneter Konflikte? Was sind in dieser Hinsicht Rolle und Bedeutung des Völkerrechtes und des Humanitären Völkerrechts im besonderen? Und wird die Bedeutung des Humanitären Völkerrechtes als Gesetzeskorpus, der sich mit bewaffneten Konflikten befasst, im Lichte der laufenden Entwicklungen der Formen von Gewalt, mit denen wir konfrontiert sein werden, zunehmen oder abnehmen?
Das potenzielle Spektrum «neuer Akteure», deren Handlungen sich auf internationaler Ebene auswirken, ist natürlich sehr weit. Obwohl viele dieser «neuen Akteure in Wirklichkeit schon seit einiger Zeit da sind, haben sie einige der traditionelleren Annahmen, auf denen das internationale Rechtssystem basiert, in Frage gestellt – und stellen es weiterhin in Frage.
Wir werden uns heute vor allem auf neue Akteure konzentrieren, die wahrscheinlich in zunehmendem Masse – direkt oder indirekt – in Situationen kollektiver Gewalt, zu denen auch bewaffnete Konflikte gehören, verwickelt sind. Das Spektrum dieser Akteure ist noch immer sehr breit, es umfasst eine ganze Bandbreite von Persönlichkeiten, Motivationen sowie unterschiedliche Grade an Bereitschaft und Fähigkeit, das Humanitäre Völkerrecht und andere völkerrechtliche Standards einzuhalten. Gewisse organisierte bewaffnete Gruppen, private Militär- und Sicherheitsunternehmen, transnationale Unternehmen, städtische Banden, Milizen und die riesige Vielfalt an transnationalen kriminellen Organisationen – einschliesslich «terroristischer» Gruppen und Piraten – alle müssen in dieser Hinsicht genau geprüft werden.
Das Identifizieren und Verstehen dieser Akteure und ihrer Merkmale ist eine Grundvoraussetzung, um die Herausforderungen, die durch deren Verwicklung in moderne bewaffnete Konflikte entstehen, besser angehen zu können. Wichtig ist auch zu erkennen, wie komplex die Realität ist, um die Falle irreführender Kategorisierungen zu vermeiden, die weder den Interessen der von einem bewaffneten Konflikt Betroffenen noch deren Schutz dient.
Erlauben Sie mir, daran zu erinnern, dass das Humanitäre Völkerrecht der einzige rechtliche Rahmen ist, der spezifisch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen verpflichtet. Der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen und das Zweite Zusatzprotokoll von 1977 dienen beide diesem Zweck, genauso wie eine grosse Zahl von Regeln des Völkergewohnheitsrechts. Diesbezüglich sind auch verschiedene Verfahren zur Klarstellung des Humanitären Völkerrechts unternommen worden.
Dennoch wird es wichtig sein zu prüfen, ob die bestehenden Regeln des Humanitären Völkerrechtes für die Auseinandersetzung mit den neuen nicht-staatlichen Akteuren adäquat sind oder ob es weiterer Regelungen bedarf. Und wenn dem so ist: Sollten neue rechtliche Normen, Standards oder beste Verfahrensweisen entwickelt werden, um die neuen Akteure besser in den Rahmen des Humanitären Rechts aufnehmen zu können? Und, ganz entscheidend: Wie kann eine bessere Befolgung des Humanitären Völkerrechtes durch nicht-staatliche Akteure in bewaffneten Konflikten sichergestellt werden, die gegenwärtig wenig rechtlichen oder praktischen Anreiz haben, das zu tun?
Ich komme nun zu den «Neuen Mitteln und Methoden der Kriegsführung», dem Thema des dritten Workshops. Zweifellos werden neue technologische Entwicklungen die zukünftige Kriegführung beeinflussen. Konflikte jüngeren Datums erlebten den zunehmenden Einsatz von Waffen oder Waffensystemen, die aus weiter Entfernung gelenkt werden – dazu gehören auch die sogenannten «Drohnen». Die Möglichkeit besteht, dass Waffensysteme in Zukunft völlig autonom werden. Automatische und besonders autonome Waffensysteme lassen gewisse Sorgen hinsichtlich der Einhaltung des Humanitären Völkerrechtes aufkommen. Die derzeitige technologische Kapazität, solche Waffen so zu programmieren, dass sie Kombattanten von Zivilisten und militärische Ziele von zivilen Objekten unterscheiden können, ist ebenso Gegenstand der Diskussion wie die Fähigkeit dieser Waffen, die Prinzipien der Verhältnismässigkeit und der bei einem Angriff erforderlichen Vorsicht zu respektieren.
Nicht nur die Waffentypen verändern sich, sondern auch die Umgebung, in der sie häufig eingesetzt werden. Hervorgerufen wurde die Debatte zum Teil durch die wachsende Zahl militärischer Operationen, die in dichtbesiedelten städtischen Gebieten durchgeführt wurden, bei denen oft von schweren Waffen abgefeuerte Sprengsätze zum Einsatz kamen, die verheerende humanitäre Folgen für die Zivilbevölkerung in einer solchen Umgebung haben kann.
Eine weitere Schlüsselfrage ist die zunehmend asymmetrische Art der modernen bewaffneten Konflikte. Unterschiede zwischen den Kriegführenden, insbesondere bezüglich ihrer technologischen und militärischen Leistungsfähigkeit, sind immer ausgeprägter geworden. Die Einhaltung des Humanitären Völkerrechtes mag als vorteilhaft für die eine Konfliktpartei wahrgenommen werden, für die andere hingegen als schädlich. Im schlimmsten Fall wird eine militärisch schwache Partei – angesichts eines viel stärkeren Gegners – die fundamentalen Regeln des Humanitären Völkerrechtes verletzen, im Versuch, das Ungleichgewicht auszugleichen. Wenn eine Seite die Regeln systematisch verletzt, besteht die Gefahr, dass sich die Situation rasch zu einer Massenschlägerei verschlechtert. Eine solche Abwärtsspirale stünde der grundlegenden Absicht des Humanitären Völkerrechtes entgegen – Leiden in Zeiten des Krieges zu lindern. Wir müssen alle Wege erkunden, um zu verhindern, dass das geschieht.
Fügt man diese Probleme zusammen, so sind Zivilpersonen in den letzten Jahren immer mehr in Aktivitäten verwickelt worden, die eng verwandt mit eigentlichen Kampfhandlungen sind. Gleichzeitig machen Kombattanten selber den Unterschied zu Zivilisten nicht immer deutlich, indem sie weder Uniformen tragen noch offen Waffen tragen. Sie mischen sich unter die Zivilbevölkerung. Zivilisten werden auch als menschliche Schutzschilde benutzt. Um die Konfusion noch zu vergrössern, sind in einigen Konflikten traditionelle militärische Funktionen an private Unternehmen oder andere Zivilisten, die für bewaffnete Kräfte des Staates oder für organisierte bewaffnete Gruppen arbeiten, übergeben (outgesourct) worden. Diese Tendenzen werden in den kommenden Jahren wohl noch zunehmen. Infolgedessen werden Zivilpersonen wahrscheinlich ins Schussfeld geraten – entweder irrtümlich oder absichtlich. Auch militärisches Personal wird vermehrten Risiken ausgesetzt sein: Da sie ihren Gegner nicht richtig identifizieren können, sind sie anfällig für Angriffe von Einzelnen, die allem äusseren Anschein nach Zivilisten sind.
Das Humanitäre Völkerrecht legt fest, dass diejenigen, die an Kampfhandlungen beteiligt sind, eine grundlegende Unterscheidung machen müssen zwischen Kombattanten einerseits, die rechtmässig angegriffen werden dürfen, und Zivilisten andererseits, die vor Angriffen geschützt sind, sofern und so lange sie nicht direkt an Feindseligkeiten teilnehmen. Das Problem ist, dass weder die Genfer Konventionen noch die Zusatzprotokolle darlegen, was genau «direkte Teilnahme an Feindseligkeiten» ausmacht.
Im Bemühen, diesen Missstand beheben zu helfen, hat das IKRK im Juni dieses Jahres einen fundierten Leitfaden herausgegeben. Ohne das bestehende Recht zu ändern, stellt dieses Dokument die Empfehlungen des IKRK zur Verfügung, wie das Humanitäre Völkerrecht hinsichtlich des Begriffes der direkten Teilnahme an Feindseligkeiten in bewaffneten Konflikten der Gegenwart interpretiert werden sollte. Ziel ist, dass diese Empfehlungen dort zur praktischen Anwendung kommen, wo es darauf ankommt: inmitten bewaffneter Konflikte, damit die Opfer dieser Konflikte besser geschützt sind.
Aber verschiedene entscheidende Fragen im Hinblick auf das Führen von Feindseligkeiten bleiben bestehen. Genügen die massgeblichen Regeln des Humanitären Völkerrechtes zum Beispiel, um bestimmen zu können, unter welchen Bedingungen von schweren Waffen abgefeuerte Sprengkraft in dicht besiedelten Gebieten eingesetzt werden dürfte? Sollten höhere Normen für die Überprüfung von Zielen und deren Umgebung oder für das Erteilen von Warnungen an die Zivilbevölkerung verlangt werden? Vielleicht ist eine Weiterentwicklung des Rechtes erforderlich, aber wie, wenn dem so ist, kann es praktikabel überwacht und durchgesetzt werden?
Ich komme schliesslich zur Frage, ob die bestehenden Mechanismen zur Umsetzung des Humanitären Völkerrechtes den tatsächlichen und neuen Herausforderungen entsprechen. Erlauben Sie mir zunächst, eine unbestreitbare Tatsache zu wiederholen: Auch wenn sich der Charakter bewaffneter Konflikte ständig weiterentwickelt, bleibt die grösste Bedrohung oder Herausforderung für das Humanitäre Völkerrecht dieselbe. Es ist der allzu begrenzte Respekt, den seine Regeln und Normen von seiten der Parteien bewaffneter Konflikt auf der ganzen Welt geniessen.
Wie ich an der ministeriellen Arbeitssitzung bemerkte, welche die Schweiz im September in New York organisierte, liegen die zentralen Ursachen für den Mangel an Einhaltung des humanitären Rechtes am Mangel an politischem Willen, am Fehlen von Prävention und Kontrolle und fehlender Rechenschaftspflicht.
Es ist klar, dass die bestehenden Mechanismen, die in der Genfer Konvention und dem Ersten Zusatzprotokoll vorgesehen sind – namentlich das System der Schutzmächte, das formelle Untersuchungsverfahren und die Internationale Ermittlungskommission – nicht wirksam gewesen sind, dies in erster Linie, weil sie der Zustimmung der betroffenen Parteien unterliegen. So sind auch verschiedene Mechanismen des Systems der Uno durch die Tatsache beschränkt, dass die Entscheidungen von den politischen Verhandlungen zwischen Regierungen abhängig sind. Obwohl gewisse Fortschritte zur Stärkung der Rechenschaftspflicht für Verletzungen des humanitären Rechts erreicht wurden – nicht zuletzt durch die verschiedenen internationalen Tribunale und den Internationalen Strafgerichtshof – bleibt die vorherrschende Kultur die der Straflosigkeit.
Es ist zu hoffen, dass die Teilnehmer der heutigen Workshops Ideen und Vorschläge austauschen werden, wie die bestehenden Mechanismen zur Einhaltung zu verbessern wären oder dass sie sogar neue schaffen; Mechanismen, die insbesondere der Tatsache Rechnung tragen, dass Verletzungen des Humanitären Völkerrechtes gestoppt werden müssen, wenn sie geschehen, statt nachdem sie sich ereignet haben.
Wir kommen nach wie vor auf eine einfache Wahrheit zurück: Der vorrangige Faktor hinter dem Mangel an Compliance (Einhaltung) ist der Mangel an politischem Willen sowohl bei den Staaten als auch bei den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Ohne den notwendigen politischen Willen wird auch der ausgefeilteste Mechanismus zur Einhaltung nicht viel mehr sein als hohles Gerede.
Der Umstand, dass diese Botschaft unermüdlich wiederholt worden ist – das IKRK hat das mit Sicherheit unermüdlich getan – mag erklären, warum derzeit dem Aspekt der Compliance, zumindest in Foren wie diesem, so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das ist natürlich sehr positiv. Alle aufrichtigen Initiativen, welche Vertragsstaaten der Genfer Konventionen ergreifen, um die Befolgung des Humanitären Völkerrechtes zu stärken – zu denen auch jene Staaten gehören, die direkt mit Fragen der Einhaltung konfrontiert sind – müssen herzlich begrüsst werden, zumindest als Manifestation eines positiven politischen Willens.
Ein besseres Einhalten des Humanitären Völkerrechtes sicherzustellen ist etwas, das heute alle von uns hier betrifft, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise. Eine breite Palette von Akteuren, wie Staaten und nichtstaatliche Akteure, Streitkräfte, Gesetzgeber und humanitäre Organisationen müssen alle eine Rolle übernehmen. Das IKRK seinerseits kann nur einen Teil zu dem beitragen, was eine gemeinsam abgestimmte internationale Anstrengung zum Erreichen dieses Zieles sein muss.
Zum 60. Jahrestag der Genfer Konventionen im August hielt ich vor den Vertretern der Hohen Vertragsparteien und weiteren geladenen Gästen eine Rede, deren Schwerpunkt auf den rechtlichen und humanitären Aspekten lag, die das IKRK als besondere Herausforderungen erachtet – nicht nur heute, sondern auch in den kommenden Jahren. Ich habe auch umrissen, was – und wie – das IKRK bereitstellt, um in Form von Anleitung und Beratung dazu beizutragen, diese Herausforderungen anzugehen.
Dabei habe ich gewisse Bereiche hervorgehoben, in denen nach Meinung des IKRK das Humanitäre Recht einer Klärung bedarf, zum Beispiel, wie bereits erwähnt, hinsichtlich der Führung von Feindseligkeiten. Es gibt weitere Bereiche, in denen das Humanitäre Recht vielleicht entwickelt werden muss; dort, wo entweder ein Mangel an Regeln besteht oder wo die Regeln zu weit oder zu vage sind und damit vieles der subjektiven Interpretation überlassen. Das tritt besonders in Situationen nicht-internationaler bewaffneter Konflikte auf, bezüglich derer das bestehende Vertragsrecht im besten Falle begrenzt ist. Haftbedingungen und das Recht der Häftlinge auf Kontakt mit der Aussenwelt sind ein solcher Bereich. Verfahrensrechtliche Schutzmassnahmen für Personen, die aus Sicherheitsgründen interniert werden, ein anderer. Dazu kommen verschiedene weitere Bereiche wie der Zugang zu Bevölkerungsgruppen, die humanitärer Hilfe bedürfen, die interne Vertreibung von Zivilbevölkerungen und der Schutz der natürlichen Umwelt.
Um die humanitären und rechtlichen Herausforderungen anzugehen, die in diesen Bereichen entstehen, ist das IKRK mit einer zweijährigen umfassenden internen Forschungsstudie befasst, die jetzt im Endstadium ist. Diese Studie beabsichtigt erstens, die ganze Bandbreite der obengenannten humanitären Anliegen, die in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten entstehen, in einfachen Worten zu erklären – dazu gehört auch die Herausforderung, die Einhaltung des Rechtes durch alle Parteien eines solchen Konfliktes zu verbessern. Auf dieser Grundlage ist das zweite Ziel die Evaluierung der rechtlichen Reaktionen, die das bestehende Recht für diese humanitären Fragen vorsieht. Auf der Grundlage einer umfassenden Bewertung der Schlussfolgerungen dieser Forschung wird für die Klarstellung oder Entwicklung spezifischer Aspekte des Rechtes plädiert. In den kommenden Monaten wird das IKRK entscheiden, wie sowohl substantiell als auch verfahrensrechtlich voranzukommen ist.
Das IKRK hofft, mit solcher Anleitung, Klärung und mit Vorschlägen für die Entwicklung einen bedeutsamen Beitrag zur Verbesserung der Einhaltung des Humanitären Völkerrechtes zu leisten. Das geschieht selbstverständlich parallel zur täglichen Arbeit neutraler, humanitärer Tätigkeit inmitten bewaffneter Konflikte, in denen man sowohl mit staatlichen und nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen spricht und bei ihnen darauf dringt, sich an die Regeln des Humanitären Völkerrechtes zu halten. Wirklich vordringlich ist die Frage der Compliance, wenn man zum Beispiel über den Zugang zu Verletzten auf der anderen Seite der Front verhandelt oder wenn es darum geht, die Evakuierung von Kranken oder Verwundeten in ein sicheres Gebiet zu ermöglichen.
Zusammenfassend möchte ich wiederholen, dass wir alle, unabhängig von jeder Klärung oder Entwicklung, die in Zukunft nötig sein mag, Verantwortung tragen und einen Part übernehmen müssen, um sicherzustellen, dass sich die Genfer Konventionen so gut wie das gesamte Gesetzeswerk des Humanitären Völkerrechtes weiter bewähren. Ich halte Staaten und nicht-staatliche bewaffnete Gruppen, die durch ihre Vorschriften auch gebunden sind, nachdrücklich dazu an, rechtliche Bestimmungen in bedeutsame Wirklichkeit umzuwandeln – dort wo es darauf ankommt, inmitten eines bewaffneten Konfliktes, um die Opfer eines solchen Konfliktes besser zu schützen.
Ich danke Ihnen. •
Quelle: www.icrc.org (Übersetzung Zeit-Fragen)
«Auch wenn sich der Charakter bewaffneter Konflikte ständig weiterentwickelt, bleibt die grösste Bedrohung oder Herausforderung für das Humanitäre Völkerrecht dieselbe. Es ist der allzu begrenzte Respekt, den seine Regeln und Normen von seiten der Parteien bewaffneter Konflikt auf der ganzen Welt geniessen.
[…] liegen die zentralen Ursachen für den Mangel an Einhaltung des Humanitären Rechtes am Mangel an politischem Willen, am Fehlen von Prävention und Kontrolle und fehlender Rechenschaftspflicht.»
Nr.45/46 vom 18.11.2009 © 2006 Genossenschaft Zeit-Fragen