Albert Schweitzers dringender Appell zum Weltfrieden
von Ursula Richner, Zürich
«Albert Schweitzer, seine Botschaft der Ehrfurcht vor dem Leben und die Erinnerung an sein Spital in Gabun, Äquatorialafrika, rücken allmählich in die Vergangenheit. Aber sie dürfen nicht in die Vergessenheit absinken.» Dies ist das Anliegen eines eindrücklichen Buches von Jo und Walter Munz, die liebevoll verschiedenste Beiträge gesammelt haben, um die Geschichte und Gegenwart von Lambarene und von Albert Schweitzer heutigen Zeitgenossen lebendig werden zu lassen. Das Buch zeigt die Kraft, die von der echten Ehrfurcht vor dem Leben ausgeht. Wir brauchen diese heute für das Überleben und den Frieden in der Welt mehr denn je.
Ganz besonders beglückt hat mich die Wiedergabe eines Briefwechsels, welchen Albert Schweitzer 1962/63 mit J. F. Kennedy und Chruschtschow geführt hat. Die Briefe sind es wert, genau gelesen und ernst genommen zu werden!
Zum besseren Verständnis eine kurze Einführung zum Briefwechsel:
Im Jahre 1952 bekam der Urwaldarzt, protestantische Pfarrer und Theologieprofessor Dr. Albert Schweitzer den Friedensnobelpreis. Um die tiefen Wunden zu heilen, die der Kolonialismus des Westens in Afrika angerichtet hatte, gründete Albert Schweitzer 1913 im heutigen Gabun das Urwaldspital Lambarene. Bis zu seinem Tod 1965 war er dessen Leiter und Inspirator. In Afrika entwickelte Schweitzer die bahnbrechende Ethik der «Ehrfurcht vor dem Leben», die unteilbar jedem Lebewesen gilt. Er schrieb schon 1921: «Wir müssen aus dem Schlafe aufwachen und unsere Verantwortungen sehen.» («Zwischen Wasser und Urwald») Und er berief sich dabei auf das elementare Denken und auf die «Barmherzigkeit, die Jesus und die Religion befehlen».
Im kalten Krieg erwies sich Schweitzer, der mit Albert Einstein befreundet war, als unermüdlicher Mahner gegen einen atomaren Krieg. Seine Kontakte in alle Welt nutzte er, um die USA und die Sowjetunion von einem drohenden Atomkrieg abzuhalten. Er sah die grosse Gefahr, in der sich die Welt in den 50er und 60er Jahren befand. Von böswilliger Kritik, die nicht selten von waffenproduzierenden Kreisen kamen, liess sich Schweitzer nicht beeindrucken. Sich selbst bezeichnete der Friedenskämpfer als absolut neutral. 1957/58 richtet er von Oslo aus vier Radioappelle gegen die atomare Bedrohung in aller Welt.
Am 20. April 1962 – während der KubaKrise – wendet er sich aus Afrika persönlich an Präsident Kennedy. Dieser Brief (unten abgedruckt) wird vom Weissen Haus am 6. Juni 1962 von Präsident Kennedy genau und menschlich beeindruckend offen beantwortet. Kennedy, der später auf mysteriöse Weise umkam, waren die atomaren Waffen zuwider, mit denen er als US-Präsident rechnen musste. Er schreibt: «Als Vater zweier Kinder muss ich Ihnen kaum sagen, wie sehr ich Ihre Sorge um die verderblichen Wirkungen von Radioaktivität teile.» Zum Atomtest-Stopp-Abkommen von 1963 gratuliert Schweitzer Kennedy herzlich: «Der Vertrag zwischen dem Osten und dem Westen über den Verzicht auf Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und unter Wasser ist eines der grössten Ereignisse der Weltgeschichte. […] Als ich von dem Moskauer Vertrag hörte, dachte ich an meinen Freund Einstein, mit dem ich in dem Kampf gegen Atomwaffen verbunden war. Er starb in Princeton in Verzweiflung. Und ich bin dank Ihres Weitblicks und Mutes in der Lage, zu beobachten, dass die Welt den ersten Schritt auf dem Weg zum Frieden getan hat.» (Albert Schweitzer im Brief vom 25.8.1963)
Wo stehen wir heute? Ist heute die Welt nicht in noch grösserer Gefahr? Kräfte in den Vereinigten Staaten planen, einen atomaren Krieg führen zu können – mit einem Präsidenten und einer Administration an der Spitze, die das ethische Niveau Kennedys gänzlich verlassen haben. Jeder Amerikaner und jede Amerikanerin, jeder Erdenbürger überhaupt, ist aufgefordert, sich dem Appell zum Weltfrieden gerade heute entschlossen anzuschliessen. «Das Grausige darf sich nicht erfüllen. Wir müssen aufhören, in geistiger Blindheit dahinzuleben», schreibt Albert Schweitzer, und dies gilt für alle Länder, die heute Atomwaffen besitzen. •
Albert Schweitzers erster Brief an Präsident Kennedy
Persönlich!
Lambarene, Gabun (West-Äquatorialafrika), 20. April 1962
Sehr verehrter Herr Präsident Kennedy!
Wollen Sie, bitte, die Freundlichkeit haben, mir altem Manne zu verzeihen, wenn ich mir die Freiheit nehme, Ihnen wegen der Testversuche zu schreiben, die die Vereinigten Staaten zusammen mit England durchführen wollen, falls Russland nicht Ihrer Forderung nachkommt, eine internationale Inspektion solle darüber wachen, dass keine Testversuche durchgeführt werden. Ich fasse den Mut, Ihnen darüber zu schreiben, als jemand, der sich seit langem mit der Frage der Atomwaffen und dem Problem des Friedens beschäftigt.
Ich glaube, Ihnen versichern zu können, dass aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erfindungen jeder von den Sowjets durchgeführte Testversuch von den hochentwickelten Instrumenten aufgezeichnet wird, die Ihr Land besitzt, um die Vereinigten Staaten zu schützen.
Als absolut neutrale Person erlaube ich mir auch einzugestehen, nicht ganz davon überzeugt zu sein, dass der Anspruch eines Staates, einen anderen zur Duldung einer internationalen Kontroll-Kommission auf seinem Gebiet zu zwingen, juristisch begründet ist […]
Die Welt hat es dringend nötig, dass die Atommächte so bald wie möglich ein Abrüstungsabkommen unter wirksamer internationaler Kontrolle schliessen […]
Wenn dies jetzt nicht erreicht werden kann, wird sich die Welt in einer hoffnungslosen und gefährlichen Lage befinden.
Bitte überlegen Sie sich, ob Sie diese Verantwortung auf sich nehmen wollen, indem Sie nicht absolut notwendige Bedingungen für das Aufhören der Atomversuche fordern, oder ob diese schreckliche Verantwortung Sie dazu bewegen wird, die Zeit abzuwarten, in welcher Testversuche der Vergangenheit angehören und aussichtsreiche Verhandlungen über Abrüstung und Frieden schliesslich möglich sein werden.
Ihr tief ergebener
Albert Schweitzer
Präsident Kennedys Antwort an Albert Schweitzer
(übersetzt aus dem Amerikanischen)
The White House – Washington, June 6, 1962
Lieber Dr. Schweitzer!
Mit Interesse und Verständnis habe ich Ihren Brief über das Problem der Atomtests gelesen. Ich kann Sie vergewissern, dass mir während meiner ganzen Regierungszeit keine Entscheidung mehr Betroffenheit und Sorge gemacht hat als der Entschluss, die Atomtests wiederaufzunehmen. Es war eine tragische Wahl; und ich machte sie nur, weil mir schien, dass für noch ungeborene Generationen und für die Zukunft der Menschheit an sich die Alternative sogar noch grössere Gefahren bringen würde hinsichtlich unserer Hoffnungen auf den Weltfrieden.
Falls ich irgendeine Gewissheit gehabt hätte, dass die Sowjetunion nicht wieder testen würde, so hätte ich niemals befohlen, unsere Tests wiederaufzunehmen. Aber es ist unmöglich zu glauben, dass unser Verzicht auf Tests die Sowjetunion abgehalten hätte, wieder eine neue Testserie zu beginnen, wann immer dies ihren Plänen entspreche.
In der Vergangenheit haben die sowjetischen Führer ihre Verachtung gegenüber der Weltmeinung gezeigt, und Nachsichtigkeit dieser Haltung gegenüber wird sie wahrscheinlich auch in Zukunft nicht zwingen können. Falls es der Sowjetunion möglich gewesen wäre, eine neue Serie zu starten ohne dazwischentretende Tests von unserer Seite, wäre es denkbar, dass eine gravierende Umstrukturierung in der Machtteilung der Welt stattgefunden hätte mit verhängnisvollen Konsequenzen für all unsere Hoffnungen auf Frieden und Freiheit.
Seit dem Beginn meiner Amtszeit als Präsident habe ich mit der Sowjetunion ein Abkommen auszuhandeln versucht, welches alle Nukleartests ächtet. Wie Sie wissen, hat die Sowjetunion bis anhin wenig Interesse an einem solchen Abkommen gezeigt. Bis die Sowjetunion einem bedeutungsvollen Testverbot zustimmt, sehe ich als verantwortliche Person für die Zukunft meines Landes und meines Volkes keine andere Wahl, als die nötigen Schritte zu tun, um die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu gewährleisten.
Sie erheben die Frage über die Dringlichkeit für internationale Untersuchungen. Gegenwärtig ist es den nationalen Systemen möglich, seismische Stösse zu eruieren; sie zuverlässig zu identifizieren ist ihnen aber nicht möglich, das heisst, sie können nicht mit Sicherheit zwischen einer Explosion und einem Erdbeben unterscheiden. Bis solche Aufdeckungsmethoden verbessert sind, kann es keine Alternative geben als eine limitierte Form von Begutachtung vor Ort. Offensichtlich würde eine solche Inspektion sowohl die Vereinigten Staaten und Grossbritannien als auch die Sowjetunion betreffen.
Als Vater zweier Kinder muss ich Ihnen kaum sagen, wie sehr ich Ihre Sorge um die verderblichen Wirkungen von Radioaktivität teile. Ich kann Ihnen nur mitteilen, dass ich dies abwägen musste gegenüber der Alternative, das heisst dem grenzenlosen Testen der Sowjetunion allein, welches zu einem steten Anwachsen der sowjetischen Atommacht führen würde, bis die kommunistische Welt bereit wäre zu einem letzten Angriff auf die Demokratien.
Ich glaube, dass in der sowjetischen Führung Männer sind, die sich aufrichtig dem Frieden verpflichtet fühlen. Unsere Kraft stärkt sie in ihren Auseinandersetzungen mit ihren extremen Kollegen. Es würde ihre Position ernsthaft schwächen, falls es ihrem Land erlaubt wäre, die entscheidende atomare Supermacht zu erlangen.
Nichts liegt meinem Herzen näher als die Hoffnung, generelle und gänzliche Abrüstung unter Bedingungen zuverlässiger internationaler Kontrolle zustande zu bringen. Sie sind eine der Persönlichkeiten unseres Jahrhunderts von überragendem moralischem Einfluss. Ich hoffe ernsthaft, dass Sie es erwägen werden, mit dem grossen Gewicht dieses Einflusses hinter der Bewegung für generelle und gänzliche Abrüstung zu stehen. Ich bin glücklich, Ihnen einen Plan über die grundlegenden Voraussetzungen eines solchen Vertrages beizulegen. Ebenfalls schicke ich Ihnen eine Untersuchung unserer Stelle für Waffenkontrolle und Abrüstung über «Die Aufdeckung und Identifikation von unterirdischen Atomexplosionen» und ein Exemplar meiner Rede vom 2. März, in der ich meine Erwägungen darlege, welche mich zum Entschluss führten, die Atomtests wiederaufzunehmen.
Ihr sehr ergebener
Kennedy
Albert Schweitzers zweiter Brief an Präsident Kennedy
Lambarene, 23. November 1962
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sie hatten die Güte, mir auf meinen Brief über die Versuchsexplosionen in grosser Höhe zu antworten, was ich nicht zu erwarten gewagt hätte. Ich danke Ihnen von Herzen.
Nun komme ich mit einem neuen Briefe. Verzeihen Sie es mir. Ich bin tief erschrocken, als ich las, dass Sie gesagt haben, dass Sie in einem Krieg wegen Berlin Atomwaffen anwenden würden.
In der furchtbaren Lage, in der wir uns durch das Vorhandensein von Atomwaffen befinden, beruht unsere letzte schwache Hoffnung, den Atomkrieg zu vermeiden, darin, dass der Westen wie auch der Osten entschlossen sind, zu den Atomwaffen nur dann zu greifen, wenn der andere es zuerst tut. Aber dieses stillschweigende Abkommen haben Sie ausser acht gelassen, indem Sie erklärten, dass Sie in der Sache des Kuba-Problems, wenn es zu Feindseligkeiten kommen sollte, die Initiative ergreifen würden, Atomwaffen zu gebrauchen.
Wollen Sie wirklich diese furchtbare Verantwortung auf sich nehmen, dass Ihr Land als erstes Atomwaffen gebrauchen wird und damit unserer letzten Hoffnung, den Atomkrieg vermeiden zu können, ein Ende macht?
Schon ein gewöhnlicher Krieg wäre ein grosses Unglück für Berlin. Die Bewohner dieser Stadt würden gegen den Westen über den Rhein fliehen, um ihr Leben zu retten. Und wenn es ein Atomkrieg wäre, würde ihnen auch die Möglichkeit der rettenden Flucht genommen werden. Was hätten sie dann davon, dass man ihretwegen einen Krieg, und sogar einen Atomkrieg, führte?
Ich kenne und liebe Berlin, weil ich in dieser Stadt studiert habe, mich später oft in ihr aufgehalten habe. Die Berlin-Frage kenne ich gründlich. Sie ist im Grund eine Frage von Formalitäten und wäre durch vernünftige Verhandlungen zu lösen. Warum sollen die Sowjets dem Besetzungszustand in Ostdeutschland nicht ein Ende machen können und mit diesem Staate in Frieden leben? Chruschtschow hat gar kein Interesse, etwas gegen Berlin zu unternehmen. Sogar Adenauer hat ihm mehrmals in Reden bestätigt, dass er den Frieden wolle. Wozu denn den Krieg und gar einen Atomkrieg wegen Berlin? Warum drängt Westdeutschland und sein überaus unsympathischer Kriegsminister Franz Josef Strauss, Atomwaffen zu besitzen, was es mit der Zeit erreichen und missbrauchen kann?
Was ist Atomkrieg? Keine politische Frage, ob gross oder klein, kann durch einen Atomkrieg entschieden werden. Krieg mit Atomwaffen ist ja kein rechter Krieg mehr, sondern nur grenzenlose, sinnlose Vernichtung. Man kann in ihm nicht mehr durch Verteidigung oder Eroberung von Gebieten Sieger werden, sondern nur mächtig werden in Zerstörung.
Ein Atomkrieg ist nicht begrenzbar. Er findet in den Lüften statt. Ein Atomkrieg wegen Berlin wird unfehlbar auch zu einem Atomkrieg über New York werden. Wie er auch ausgehe, wird er nichts anderes als furchtbares Elend schaffen.
Ein Atomkrieg ist unmenschlich. Die Hauptwirkung der Explosion der Atombombe, welcher Art sie auch sei, ist unvorstellbare Hitze, in der alles zu brennen anfängt. Als brennende Fackeln sind die Menschen in der Stadt Hiroshima herumgerannt. In einem mit modernen Atomwaffen geführten Krieg werden sie dies miteinander gleichzeitig in Hunderten von Städten tun.
Wir sind in den beiden Weltkriegen in Unmenschlichkeit versunken und nehmen uns vor, in einem kommenden Atomkrieg noch tiefer darin zu versinken.
Dieses Grausige darf sich nicht erfüllen. Wir müssen aufhören, in geistiger Blindheit dahinzuleben. Es muss kommen, dass wir uns wieder danach sehnen, menschliche Menschen und Völker zu sein und der grausigen Macht, zu der wir durch Fortschritte des Wissens und Könnens gelangt sind, zu entsagen, um den Weg der Politik der Erhaltung des Friedens zu gehen.
Dies wage ich Ihnen als der Persönlichkeit, die in der Geschichte unserer Zeit die grösste Verantwortung hat, zu sagen. Nur weil ich es als Pflicht empfinde und eine grosse Hochachtung für Sie habe, wage ich als einer, der in Freundschaft mit Einstein den Kampf gegen die Atomwaffen begann und noch darin steht, davon zu reden.
Seien Sie gewiss, dass wenn Sie statt der Politik der Stärke die des Friedens erwählen, Sie grosse Zustimmung nicht nur in Ihrem Volke, sondern in der ganzen Welt finden werden. Das heutige Elend auf der ganzen Welt ist das der Friedlosigkeit, in dem die Völker miteinander sich auf dem Weg zum Verderben befinden.
Niemand weiss und niemand wird wissen, dass ich Ihnen diesen Brief schreibe.
Ihr tief ergebener
Albert Schweitzer
Albert Schweitzers dritter Brief an Präsident Kennedy
Lambarene, 25. August 1963
Sehr verehrter Herr Präsident Kennedy!
Ich schreibe Ihnen, um Sie zu beglückwünschen und ihnen zu danken, dass Sie den Weitblick und Mut besassen, eine Politik zum Weltfrieden einzuleiten. Endlich wird ein Lichtstrahl in der Dunkelheit sichtbar, in der die Menschheit ihren Weg sucht, und gibt uns die Hoffnung, dass die Dunkelheit dem Licht weichen wird. Der Vertrag zwischen dem Osten und dem Westen über den Verzicht auf Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und unter Wasser ist eines der grössten Ereignisse der Weltgeschichte. Es gibt uns die Hoffnung, dass der Krieg mit Atomwaffen zwischen Ost und West vermieden werden kann.
Als ich von dem Moskauer Vertrag hörte, dachte ich an meinen Freund Einstein, mit dem ich im Kampf gegen Atomwaffen verbunden war. Er starb in Princeton in Verzweiflung.
Und ich bin dank Ihres Weitblicks und Mutes in der Lage, zu beobachten, dass die Welt den ersten Schritt auf dem Weg zum Frieden getan hat.
Ihr tief ergebener
Albert Schweitzer
Kennedy und Chruschtschow begegnen einander in Wien 1961. Kennedy erklärte danach, die Kluft vermindere sich in diesen Tagen nicht, aber die Kanäle des Gedankenaustauschs seien weiter geöffnet worden. Sie seien übereingekommen, in Kontakt zu bleiben. (Dies war noch zwei Jahre vor dem Atomteststopp-Abkommen von 1963.)
Briefwechsel zwischen Albert Schweitzer und Generalsekretär Chruschtschow
Im April 1962: Albert Schweitzer schreibt einen analogen Brief wie an J. F. Kennedy gleichzeitig an N. S. Chruschtschow. Der Brief ist leider nicht erhalten. Ebenso ist keine Antwort aus dem Kreml bekannt.
6. August 1963: Albert Schweitzer gratuliert und dankt N. S. Chruschtschow nach dem Atomteststopp-Abkommen. Es ist ein analoger Brief wie an Präsident Kennedy. Dieser Brief wird im Buch handschriftlich wiedergegeben.
15. Oktober 1963: Chruschtschow dankt Schweitzer für dessen Brief vom 6. August 1963. Dieser Brief ist nur in der gegebenen Abschrift erhalten.
Albert Schweitzers zweiter Brief an Generalsekretär Chruschtschow
Lambarene, 6.8.1963
Sehr geehrter Herr Präsident
Ich komme Sie beglückwünschen und Ihnen danken, dass Sie die Einsicht und den Mut besassen, den Weg einer neuen Weltpolitik mit der Richtung auf den Frieden einzuschlagen. Endlich ein Lichtstrahl in der Dunkelheit, in der die Menschheit wandelte! Endlich die Möglichkeit der Hoffnung, dass die Dunkelheit dem Licht weichen wird!
Das Moskauer Abkommen zwischen dem Osten und dem Westen, auf die Versuchsexplosionen in der Luft und in dem Wasser zu verzichten, ist eines der grössten, ja das grösste Ereignis in der Weltgeschichte. Nun vermögen wir zu hoffen, dass ein mit Atomwaffen zwischen dem Osten und dem Westen geführter Krieg nicht statthaben wird.
Als ich Kenntnis von dem Moskauer Abkommen nahm, musste ich an meinen Freund Albert Einstein denken, mit dem ich in den Kampf gegen die Atomwaffen eintrat. Er starb in trostloser Hoffnungslosigkeit in Princeton, in der Fremde. Ich aber darf auf Grund Ihrer Einsicht und Ihres Mutes feststellen, dass die Menschheit den ersten Schritt auf dem Wege, der zum Frieden führt, getan hat.
In tiefer Dankbarkeit
Ihr ergebener Albert Schweitzer
Generalsekretär Chruschtschows Antwort an Albert Schweitzer
Moskau, Kreml, 15.10 1963
N.S. Chruschtschow,
Für Ihre Botschaft vom 6.8.63 danke ich Ihnen. Über Ihre Anerkennung und Ermutigung für unsere Friedensbemühungen habe ich mich gefreut. Ihr Wirken und Ihr Name ist in unserem Land gut bekannt.
Jetzt kommt es darauf an, dass alle Persönlichkeiten mit ihrem Einfluss und Ihren Kräften das Werk des Friedens unterstützen.
Mit besten Grüssen
N.S. Chr.
Quelle: Jo und Walter Munz. Mit dem Herzen einer Gazelle und der Haut eines Nilpferds. Albert Schweitzer in seinen letzten Lebensjahren und die Entwicklung seines Spitals bis zur Gegenwart. Verlag Huber, Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2005, ISBN 3-7193-1381-6