Gefangen im Kaukasus Rußland/Kasachstan 1996

Gefangen im Kaukasus Rußland/Kasachstan 1996

Eine Nachlese zur Film-Veranstaltung mit Diskussion vom 20.1.03 im Effeltricher Linden-Kino, die gemeinsam mit ai-Erlangen durchgeführt wurde

Filme können betroffen machen und dieser Film des Regisseurs Bodrov nahm die Zuschauer mit hinein in einen beginnenden Prozeß des Verstehens zwischen Russen und Tschetschenen; am Ende konnte man nicht anders, als das Elend auf beiden Seiten zu sehen, aber auch die Hoffnungsschimmer wahrzunehmen und sich zu fragen, was können wir tun, wie können wir helfen.

Im Film Gefangen im Kaukasus sagt ein russischer Soldat auf die Frage, warum er zum Militär gegangen sei, er liebte eben Waffen und Weiber. Dies sei sein dritter Krieg mit dem gleichen Kommandanten und die Kaltblütigkeit, mit der er mordet, zeigt seinen Grad an Verrohung. Zu diesem entwürdigenden System der russischen Armee gehören zu dürfen bedeutet vor allem: Beweisen, daß man bereit ist, töten zu wollen. Tief eingepflanzt in die Seelen der Beteiligten – Besatzer wie Besetzte – sind die Feindbilder. Rache und Vergeltung bestimmen das Kriegsgeschehen, die Arroganz der russischen Besatzer ist maßlos: Der Osman mache keine Kriegsgefangenen, der bringe sie gleich um. Und doch haben sich die gezeigten Tschetschenen trotz aller Erniedrigung noch Menschlichkeit bewahrt. Die Gefangenen werden nicht gefoltert, müssen nicht hungern.

Der Film zeigt sehr einfühlsam, wie sich Feindschaften durch gegenseitiges Kennenlernen auflösen lassen, gemeinsam gefeierte Feste und Verständnis für die Gebräuche eines Volkes den Weg hin zum Frieden ebnen könnten. Deutlich wurde auch, daß beide Seiten unter den Grausamkeiten leiden und immer wieder Hoffnung auf eine friedliche Lösung aufkeimt; man macht Pläne für die Zeit nach dem Krieg.

Ein entscheidender Aspekt zum Verständnis der Auseinandersetzungen im Kaukasus sind neben der Tradition der Blutrache, die durch die russischen Militäreinsätze lediglich gesteigert werden wird, die brutalen Deportationen unter Stalin. Allein dadurch wurden zehntausende Tschetschenen getötet. Hinzu kommt, daß vom russischen Staatsverständnis des Kollektivdenkens her die Tschetschenen so etwas wie Untermenschen sind, Massen, die es zu beherrschen und zu dirigieren gilt. Die Stadt Grosny wurde durch das Feuer der russischen Artillerie in eine kaukasische Hölle verwandelt, buchstäblich eingeebnet. Kein Krankenhaus arbeitet mehr in der Stadt. Bei dem Versuch, Trinkwasser aus Pfützen zu schöpfen, riskieren Menschen ihr Leben. Die Auslöschung des tschetschenischen Volkes sei beschlossene Sache, sollen vor einiger Zeit russische Medien getönt haben.

Warum wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht endlich anerkannt? Kolonialdenken bei den Besatzern kann bei den Unterjochten – das hat die Geschichte immer wieder gezeigt – auch zu gewalttätigem Aufbegehren führen.

Der Film zeigt eindrücklich, daß Feindbilder wie in einem Teufelskreis immer wieder aufgebaut werden, wenn nicht beidseitige Annäherungen probiert, vertrauensbildende Taten überhaupt nur angedacht werden. Nachdem ein Gefangenenaustausch aus einer Verkettung unglücklicher Umstände scheitert, gelobt der Kommandant nun Vergeltung und einen härteren Einsatz. Die angreifende Grossmacht Rußland erklärt sich zum Märtyrer, der sich mit allen, auch den unmenschlichsten Mitteln „wehren“ darf. Die Unterdrückten sind per se Kriminelle, die nur eine einzige Alternative zuerkannt bekommen, sich einem verhassten Joch zu unterwefen oder zu sterben.

Unsere Aufgabe könnte sein, mitzuhelfen, den Menschenrechten und der Genfer Konvention über die Behandlung der Zivilbevölkerung und von Gefangenen wieder mehr Geltung zu verschaffen. So Werner Schramm vom Effeltricher Linden-Kino.

Monika Gonser von ai-Erlangen machte es deutlich:

Menschenrechte sind unteilbar!

Wenn man diese russische Mutter im Film sieht, wie sie versucht, ihren Sohn zu retten, der in einem entwürdigen Verfahren erst gemustert und dann fernab „verheizt“ wird, muß eigentlich jeder Zuschauer tief angerührt sein. Diese Mutter kämpft für die Freilassung ihres Sohnes, wehrt sich gegen die Barbarei, die das russische Militär selbst den eigenen Leuten gegenüber an den Tag legt. Was im Film nicht gezeigt wird: Wie junge Männer aus dem Alltag heraus eingefangen und in den Kriegsdienst gepresst werden, einsam sind und oft verzweifeln über die Grausamkeiten innerhalb des Militärs – es scheint, als habe die Sowjetunion nie aufgehört zu existieren.

Um es deutlich zu sagen: Mütter in aller Welt – in Tschetschenien, aber auch im Irak, in Palästina, in Afghanistan und in all den anderen Ländern, in denen wegen geostrategischer Interessen oder aus kaum zu verbergender Gier nach dem schwarzen Gold Kinder, Frauen und Männer getötet, geschunden, ausgehungert, zu Krüppeln gemacht werden – alle Mütter empfinden gleich: Sie wollen in Frieden mit ihren Mitmenschen leben, für ihre Kinder eine friedliche und gerechte Welt schaffen. Krieg ist kein unentrinnbares Schicksal. Er ist nicht gerecht und schon gar nicht human. Wir wollen keinen Krieg und es wird Zeit, dies den politisch Verantwortlichen deutlich zu machen. Was ist los mit uns, wenn wir weiter dazu schweigen, daß Krieg wieder salonfähig gemacht wird, dessen sinnlose Opfer beispielsweise als „Kollateralschäden“ verharmlost werden? Egal auch, ob man ihn schönfärberisch als „robusten Einsatz“ verkauft: Jeder Krieg führt zu Blutvergiessen, jeder Krieg bringt Opfer.

In der gesamten Diskussion wurde klar, wie schwierig es ist, in einer solchen Situation ist den richtigen Weg zu finden. Das tschetschnische Volk auf der einen Seite, das schon seit dem 18 Jahrhundert  für seien Freiheit kämpft, unter Stalin grausamen Deportationen ausgesetzt war und sich nun seit einem Jahrzehnt im Dauerkriegszustand befindet, mit all der Not, den Misshandlungen von russischer Seite, den zerbombten Städten und der zerstörten Zukunft. Auf der anderen Seite der russische Staat, der wie kein andere Land in den letzten zehn Jahren den Abstieg von einer Weltmacht zu einer zeitweise perphären Gestalt der Weltgeschichte verkraften musste, der noch keinen demokratischen Umgang weder mit den eigenen Bürgern noch mit Minderheiten gelernt hat und der in den letzten drei Jahren von drei großen Terroranschlägen auf unschuldige Zivilisten erschüttert wurde.

In Rußland ist der Rassismus alltäglich: Längst eingebürgerte Tschetschenen werden drangsaliert. Sie verlieren ihre Arbeitsplätze, ihre Wohnungen werden gekündigt, sie trauen sich nicht mehr auf die Strasse aus Angst vor Verhaftung. Man kann von einer Vertreibung durch Repression sprechen. Die Tschetschenen werden ohne Ausnahme zu Terroristen erklärt und kriminalisiert. Seit dem Geiseldrama in Moskau haben sich die Säuberungen in Tschetschenien massiv verstärkt. Bei den Razzien in und Überfällen auf Privathäuser wird der Tod von Frauen und Kindern in Kauf genommen. .

Die Frage, die sich dem Publikum auf im Hinblick auf den Irakkonflikt stellte, war:

Ist es angesichts der so erschütternd gezeigten Zustände in dieser Krisenregion nicht an der Zeit für den Westen, wieder mehr auf die Einhaltung der Menschenrechte auf beiden Seiten zu pochen? Und muss diese Einforderung nicht damit beginnen, die zweierlei Maß, die seit dem 11. September an Gewalt und Waffeneinsatz gelegt werden, zu beseitigen? Kann die Spirale der Gewalt nicht nur durch ein Beenden der Gewalt durchbrochen werden.?

Nicht nur die „Soldatenmütter“ erheben bittere Anklage, Russland betreibe unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung seinen Völkermord – schon über 200000 Tschetschenen seien umgebracht worden, und das Schlachten gehe weiter. Die russische Besatzungsarmee, die seit einem halben Jahr unter dem Kommando des Inlandsgeheimdienstes FSB steht, riegele Städte ab und durchkämme sie nach „Terroristen“. Das heisst nichts anderes, als dass man die Männer zusammentreibt und misshandelt oder umbringt.

Bitter bringen tschetschenische Überlebende zum Ausdruck, daß heute das Problem in erster Linie in der Rivalität der Grossmächte um den Zugang zum kaspischen Öl und um die Kontrolle der Transportwege zu liegen scheint. Was zählt da schon ein 1991 von 80 Prozent der Bevölkerung gewählter Präsident Dudajew und das verbriefte Recht auf Selbstbestimmung der Tschetschenen.

Es bleibt keine andere Alternative: Konflikte gehören an den Verhandlungstisch!

Verschiedentlich werden Stimmen laut, die von einem schmutzigen Deal sprechen: Freie Hand für Putins Völkermord in Tschetschenien gegen die Kolonialisierung von Afghanistan und Irak durch die USA und ihre Verbündeten. Jeder Krieg ist eine Niederlage für die Menschheit, so der Heilige Vater – es gilt ein grundsätzliches Nein zum Krieg, nicht nur für Christen.

Das Effeltricher-Linden-Kino und ai-Erlangen wiederholen auf Wunsch diese Veranstaltung gerne auch andernorts beispielsweise in Schulen.

Erinnern wir uns:

  IV. Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, abgeschlossen in Genf am 12. August 1949

            Teil I Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1. Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, das vorliegende Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen.

Zu diesem Zwecke sind und bleiben in bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:

a) Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;

b) die Gefangennahme von Geiseln;

c) Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;

d) Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.

2. Die Verwundeten und Kranken sollen geborgen und gepflegt werden. (…)

Art. 27. Die geschützten Personen haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Familienrechte, ihrer religiösen Überzeugungen und Gepflogenheiten, ihrer Gewohnheiten und Gebräuche. Sie sollen jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und namentlich vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, vor Beleidigungen und der öffentlichen Neugier geschützt werden. Die Frauen sollen besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und jeder unzüchtigen Handlung geschützt werden.

Grundsätzlich sollte die nach wie vor gültige UN-Charta in Erinnerung gerufen werden:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (Art 2, 4).

Erinnert sei auch an den nach wie gültigem Nato-Vertrag von 1949, der in Art. 1 (Grundsatz der friedlichen Streitbeilegung) vorsieht:

«Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.»

Entsprechend heisst es in Art. 26 GG (Verbot des Angriffskrieges):

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen […].“ Das gilt grundsätzlich!

Nie wieder Krieg! – Schon vergessen?

Film-Reihe in den Lamm-Lichtspielen 2003

“Nie wieder Krieg” lautete das Motto der Massenkundgebungen, mit welchen die pazifistischen Organisationen der Weimarer Republik immer wieder an das Leiden im Krieg erinnerten, um Abrüstung und friedliches Miteinander der Völker zu fordern. Noch in den 90er Jahren strömten angesichts des Golfkriegs die Massen auf die Straßen und forderten „Kein Blut für Öl“. Am Beginn des Jahres 2003 mit der Aussicht auf einen unmittelbar bevorstehenden neuen Krieg im Irak ist es beängstigend still in unserer Gesellschaft geworden.

Die Filmreihe „Nie wieder Krieg! – Schon vergessen?“, veranstaltet von den Erlanger Lamm-Lichtspielen, dem Effeltricher Linden-Kino und dem Förderverein „Das Lamm muss laufen“ e.V., will eine Möglichkeit zur Diskussion bieten.

Ist Krieg als politisches Mittel wieder gesellschaftsfähig? Kann das Schlagwort „humanitärer Krieg“ über die Tatsache hinwegtäuschen, dass jeder Krieg, auch wenn er das Ziel hat, Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen, zu Blutvergießen führt?

Sonntag, 12.01.2003, 15 Uhr, Lamm-Lichtspiele, Erlangen

Die Brücke, D, 1959, R: Bernhard Wicki

„Die Brücke“ zählt zu den Weltfilmklassikern und war nicht nur der herausragende deutsche Film nach 1945, der eine klare Position gegen den Krieg bezog, sondern gilt als einer der wenigen echten Antikriegsfilme überhaupt. Er skizziert die von Angst, Hoffnung und Sinnlosigkeit geprägte Atmosphäre der letzten Kriegstage des zweiten Weltkriegs.

Sonntag, 19.01.2003, 15 Uhr, Lamm-Lichtspiele, Erlangen

Montag,  20.01.2003, 20 Uhr, Effeltricher Linden-Kino, Erlanger Str. 1, Effeltrich

Gefangen im Kaukasus (OmU), Kasachstan/Russland 1996, R: Sergej Bodrov

Nach einer 150 Jahre alten Erzählung Tolstois hat Sergej Bodrov eine aktuelle Anklage gegen Krieg und Gewalt inszeniert: „Es ist einfach, einen Krieg zu beginnen und schwer, ihn zu beenden.“ – Eine Veranstaltung im Rahmen der weltweiten Kampagne von amnesty international gegen Menschenrechtsverletzungen in der russischen Föderation.

In Planung:

Das Massaker von Afghanistan       Irland 2002              R: Jamie Doran

Wag the Dog                                      USA 1997                R: Barry Levinson

Leben und Sterben in Sarajevo       Frankreich 1993      R: Radovan Tadic

Unternehmen Edelweiß                    Deutschland 1954  R: Heinz Paul

Wenn die Kraniche ziehen               UDSSR 1957 R:       Michail Kalatosow