Jan Karski – Einer gegen den Holocaust, Als Kurier in geheimer Mission, Bleicher Verlag, Gerlingen 1997
Buchbesprechung
E. Thomas Wood · Stanislaw M. Janowski,
Jan Karski – Einer gegen den Holocaust, Als Kurier in geheimer Mission, Bleicher Verlag, Gerlingen 1997
we. Im Januar 1997 kam Jan Karski, ein 82jähriger emeritierter Professor für Osteuropakunde, im Rahmen einer Veranstaltungsreihe “Die Überlebenden nicht vergessen …” zu einer einwöchigen Vortragsreise in die Bundesrepublik. Anlaß der Veranstaltungen mit Jan Karski in Bonn und Köln war unter anderem der Antrag der Grünen zur “Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten”, dessen erste Lesung am 30.1.1997 im Bundestag stattfand. Am 27. Januar 1997 war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Professor Karski stellte sinngemäß als Botschaft an die Jugend heraus, daß sie schulisch gründlich lernen sollte, dann habe sie keine Zeit mehr für rechtsextreme Aktivitäten.
Die Lektüre des Buches “Jan Karski – Einer gegen den Holocaust” eröffnet Facetten zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die vor allem seitens der Veranstalter in keiner der beiden Veranstaltungen so thematisiert wurden. Es sei auch vorweg gesagt, daß der Titel “Einer gegen den Holocaust” irreführend scheint: Das Buch behandelt sowohl den deutschen als auch den sowjetischen Totalitarismus in Strategie und konkretem Grauen, verdeutlicht dabei Illusionen von Einzelnen, von politischen Gruppen aber auch Staatsregierungen dem kommunistischen Terror gegenüber, zeigt die Anbiederungen des Westens an Stalin zur Erlangung taktischer Vorteile im Rahmen eigenen Machtsterbens und verdeutlicht Karskis eindeutige Warnung vor dem Kommunismus.
Karski, selbst kein Jude, wandte sich in Polen bereits seit seiner Jugend gegen Antisemitismus und die Ausgrenzung von Andersdenkenden. Die um ihre Existenz ringenden Juden in Polen wollten, daß Karski die Regierungen der Alliierten in London und Washington, einflußreiche Organisationen, westliche Intellektuelle und Vertreter des Vatikan als Augenzeuge über die Vernichtungsmaschinerie in Kenntnis setzt und um Hilfe bittet.
Fast das gesamte osteuropäische Judentum fiel schließlich dem deutschen Rassenwahn zum Opfer, hatte zuvor bereits Stalin durch die Ermordung von 22 000 Polen – vor allem die militärische und zivile Intelligenz – mittels eines speziellen Exekutionskommandos des NKVD (dem späteren KGB) nicht nur im Wald von Katyn gezeigt, wie er seinen Machtbereich auszudehnen gedachte. Am 5. März 1940 erließ das Politbüro geheime Direktiven für die Exekutionen von Ärzten, Priestern, Rabbinern, Anwälten und Offizieren. Später “durften” die Überlebenden der Lager unter Stalin gegen Hitler kämpfen. Stalin hatte in einem geheimen Zusatzprotokoll mit Hitler 1939 die Aufteilung Polens beschlossen; mit seinen Verschleppungs- und Mordaktionen wurde die militärische Führungsschicht Polens liquidiert. So konnte offensichtlich sichergestellt werden, daß sich kein eigenständiges Polen je wieder erheben konnte.
Tatsache ist, daß der Westen 1939 nichts zu Polens Verteidigung unternommen hatte. Die Regierung Churchill hatte längst ein Geheimpapier verfaßt, in dem Polens “nachteilige Ostgebiete” an Stalin abgetreten werden sollten. Karski hatte 1942 als Kurier des polnischen Untergrundes den Auftrag, die Alliierten über die Vernichtung der Juden zu informieren. Doch die Kriegsgegner im Westen blieben weiterhin passiv, man wollte Stalin nicht verärgern. Heute wissen wir, daß Roosevelt offensichtlich darauf spekulierte, Stalin gegen Japan einsetzen zu können und Churchills Interessen in einer stabilen Beziehung zur Sowjetunion lagen, die Aufteilung Europas mit Stalin spätestens seit Teheran Anfang Dezember 1943 beschlossene Sache war und dort Polen im geheimen ohne Beteiligung der polnischen Regierung nach Westen verschoben wurde – das alles wußte Karski nicht.
Der Kurier aus Polen wurde in London von vier Mitgliedern des Kriegskabinetts, unter ihnen Außenminister Eden, empfangen. “Eden betonte immer wieder, der einzige Weg, den Juden zu helfen, sei, den Krieg so schnell wie möglich zu gewinnen”, berichtete Karski später. Die Alliierten lehnten einen Abwurf von Flugblättern über Deutschland zur Aufklärung der Bevölkerung ab – einen Krieg gewinne man nicht mit Flugblättern; Eden strebte sogar an, daß Churchill Karskis Bericht nicht hören sollte.
Über den amerikanischen Botschafter bei der polnischen Exilregierung gelangte ein “Geheimbericht” in die USA, der Stalins Pläne deutlich machte – wobei unklar ist, ob Roosevelt diesen Bericht kannte. Ziel Stalins war es demgemäß, die “regierungsgesteuerte Untergrundbewegung” zu liquidieren und eine Revolution in Polen anzuzetteln. Es war die Rede von Bestrebungen der Sowjets, die rechtmäßige Untergrundbewegung bei der Bevölkerung zu diskreditieren, zu unterwandern und die Mitglieder bei der Gestapo zu denunzieren. Moskaus Machenschaften sollten am Ende dazu führen, daß ein Bruch der polnischen Bevölkerung mit der Exilregierung erfolgt und ein von Moskau kontrolliertes “freies” Polen erreichtet wird. Die Morde an den polnischen Offizieren in Katyn wurden den Deutschen angelastet und der Westen akzeptierte Stalins Dementi; der polnische Untergrund jedoch wollte die Gräber von unabhängigen Gruppen, wie etwa dem Roten Kreuz inspizieren lassen. Obwohl der Westen wußte, daß die polnischen Offiziere lange vor Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges verschwunden waren, unterstellten die Alliierten, daß Polen auf deutsche Propaganda hereinfalle. Nun konnte Stalin zuschlagen: Er beschuldigte Polen der geheimen Absprache mit den Nazis und brach die diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung ab. Roosevelt wurden Vorschläge unterbreitet, wie das polnische Kabinett umgebildet werden sollte, “um Stalin zufriedenzustellen, der sich weigerte, an eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu Polen zu denken, solange keine neuen Gesichter in der Regierung auftauchten.”
Obwohl spätestens 1942 die nationalsozialistische “Endlösung der Judenfrage” bekannt war, rieten sowohl das britische als auch das amerikanische Außenministerium jüdischen Repräsentanten die Kenntnisse über die Greuel nicht zu veröffentlichen. Weil die Geheimberichte nicht mehr zu ignorieren waren und in New York beispielsweise Juden und Nichtjuden die Arbeit niederlegten, konnten die Alliierten nicht umhin, in einem Kommuniqué die Bestrafung der Naziverbrecher nach dem Krieg anzukündigen. Historisch war damit zwar erstmalig im internationalen Recht ein “Meilenstein” gesetzt worden, zu einer Schweigeminute im englischen Parlament und anderen symbolischen Akten kommentierte Goebbels:
“An der Klagemauer haben sie den alttestamentarischen jüdischen Fluch über den Führer, Göring, Himmler und mich heraufbeschworen. Bis jetzt habe ich noch keine Wirkung auf mich verspürt” (S. 205).
Karski, der sich immer bemühte, überparteilich der Menschlichkeit zu dienen, mußte immer wieder erkennen, daß einzelne politische Gruppen doch glaubten, durch Stillhalten und Schweigen dem Unrecht gegenüber Schonung zu erlangen. Es war für Polen – und damit auch für andere Völker unter der kommunistischen Knute – ein schwerer Schlag, als die Vereinigten Staaten der Londoner Exilregierung im Juli 1945 “die Anerkennung zugunsten der von den Sowjets gestützten, inzwischen fest installierten Regierung in Polen” entzogen. Es verdient jedoch hervorgehoben zu werden, daß Karskis Engagement unter amerikanischen Offiziellen – wie etwa dem ehemaligen Präsidenten Hoover – auch positives Echo und Unterstützung fand, auch wenn Karski seinen Kampf als vergeblich empfand und verbittert war. In den 50er Jahren widmete sich Karski einem Berufsleben an der Universität in Georgetown, wurde amerikanischer Staatsbürger. Erwähnenswert ist noch, daß der Informationsdienst der Vereinigten Staaten ihm 1955 eine viermonatige Vortragsreise durch Asien finanzierte, auf der Karski – erfolgreich – den Kommunismus anprangerte. Exemplarisch führte Karski seine “eigene erfolgreiche Einwanderungsgeschichte als Beweis für die Überlegenheit des Kapitalismus an und stellte den sowjetischen Verrat, der Polen und andere Länder ihrer Freiheit beraubt hatte, als Gegenbeispiel dar.”
Karskis Beispiel stellt für uns ein Vorbild dar, wie man uneigennützig und unermüdlich, ohne Nachteile zu scheuen, sich gegen den Inhumanismus engagieren kann – gegenwärtig ist es in der BRD noch nicht wieder so weit, daß man bei politisch inkorrekter Haltung oder gar Handlung “abgeholt” wird.
E. Thomas Wood · Stanislaw M. Janowski,
Jan Karski – Einer gegen den Holocaust, Als Kurier in geheimer Mission, Bleicher Verlag, Gerlingen 1997
Das Buch wurde von Jan Karski autorisiert.