„Effeltricher Linden-Kino“ und „Lamm-Lichtspiele“ Erlangen 2004
„Heimat“ – Eine Nachlese in besinnlicher Zeit
Die Geographiestudenten aus dem Seminar von Prof. Dr. Werner Bätzing (Geographisches Institut Uni Erlangen) klangen am Ende der Filmreihe „Heimat!“ angenehm überrascht: „Und ich habe immer gedacht, Heimatfilme seien angestaubtes Zeug.“ In den gut besuchten Veranstaltungen nahmen erfreulicherweise auch Jüngere die Gelegenheit zum Gedankenaustausch und lebhafter Diskussion auch mit der älteren Generation wahr, wobei natürlich auch fach(wissenschaft)liche Fragen eine Antwort erfuhren. „Wir kommen auch zur nächsten Reihe und werden weitersagen, wie toll es war“, so eine Studentin.
Der „echte“ Heimatfilm ist von daher hochaktuell, so das Fazit der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „Heimat! Ein Beitrag zu fünfzig Jahren deutscher Heimatfilm“ von „Effeltricher Linden-Kino“ und „Lamm-Lichtspiele“ Erlangen. Der Forchheimer Kreisheimatpfleger Dr. Andreas Otto Weber, der in Erlangen Bayerische und Fränkische Landesgeschichte lehrt, brachte es in den anschließenden Publikumsgesprächen immer wieder auf den Punkt:
„Heimat ist zwar in erster Linie ein Gefühl, doch wenn man wissen will, was den Wert von Heimat ausmacht, geht es nicht ohne Hirn, sprich ohne genaues Hinsehen und Darstellen.“
Insofern kann Heimatpflege einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Stärkung einer Gegend leisten, vor allem in Hinblick der Entwicklung der Regionalwirtschaft. Denn: „Nur wenn wir ein unbefangenes und klares Bild unserer Heimat zeichnen, können wir auch ihre Stärken und Besonderheiten erkennen.“ Die „Heimat“ galt lange Zeit als Platz des Einzelnen, stand für soziales Gefüge, für persönlichen Halt und Verwurzelung, oft auch schwärmerisch überhöht.
In einer Zeit, in der der nationale Bauernstand durch globalisierte Wirtschaftsinteressen zum Aussterben verurteilt sein könnte, sollten wir uns wieder bewußt machen, daß es in den 50er Jahren gerade die Bauern waren, die eine gesunde Regionalversorgung ermöglicht und Arbeitsplätze geschaffen haben. Das konnten sie vor allem deshalb, weil Ludwig Erhard mit seinem Konzept der „Sozialen Marktwirtschaft“ den notwendigen politischen Rahmenbedingungen hierfür geschaffen hatte. Daneben trugen auch das Handwerk, in den Filmen dargestellt am Beispiel der Mühlen und der Bäcker, zu gesundem regionalem Wirtschaftswachstum und -kreislauf bei. Es scheint etwas aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt worden zu sein, daß klein- und mittelständische Betriebe über 75% aller Arbeitsplätze einrichteten und durchhielten, damit auch seinerzeit Wohlstand für alle entscheidend mit schafften und 1950 noch ca. 25% aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig waren.
Und vergessen wir nicht: Das Familienleben war durch kriegsbedingte Trennung vielfach belastet und es war gerade die Familie, die für viele Menschen der einzige Halt war. Die Bedeutung diverser Heimatfilme bestand nach dem Krieg neben Unterhaltungsabsichten auch darin, die Verläßlichkeit bewährter Grundwerte (z.B. Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Anstand, soziale Verantwortung, Heimatverbundenheit, Menschenwürde) in christlicher Verantwortung durch positiv dargestellte Vorbilder wieder zu fördern.
Dies wurde bereits beim ersten Film deutlich: In „Die schöne Müllerin“, ein Film der 1954 in den Tälern der fränkischen Schweiz gedreht wurde, gerade in der Zeit als hier wie anderswo das Mühlensterben begann. Der Film zeigt deutlich den Konflikt zwischen handwerklichem Familienbetrieb und modernen Konzernen, aber es wird auch Kritik an den traditionellen Heiratssitten geübt. Anders als im Film positiv gezeigt, war es bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nur selten denkbar, daß ein Geselle eine Wirtstochter heiratete. Hier waren Heimatfilme wichtige Schrittmacher einer Durchbrechung „versteinerter“ Verhältnise, die aber auch zum Festhalten am Guten der Heimat animierten.
Natürlich gab es in den Heimatfilmen der 50er Jahre auch viel Kitsch und unrealistisches. Das Beispiel des Filmes „Das Brot des Bäckers“ (1976 in Hersbruck gedreht) zeigt die völlige Kehrtwende: Minutiös wird der Weg eines jungen Bäckergesellen nachgezeichnet, der ein Handwerk ergreift als dieses gerade von der Maschinisierung und Standardisierung erfaßt wird. Am Ende wundert man sich, daß es heute immer noch echte Kleinbäckereien gibt, die individuelles Brot herstellen. Doch es wurde auch herausgestellt, daß Beruf und Arbeit auch Persönlichkeitsentfaltung bedeuten müssen über den bloßen Gelderwerb hinaus. Es scheint mehr als ein Zeichen der Zeit, daß sich junge Leute nicht vorstellen können, beispielsweise im Bäckerhandwerk für frische Brötchen am Morgen zu sorgen, weil man da ja mitten in der Nacht aufstehen muß. Vergessen wir nicht zu schnell, daß es etwas mehr als 50 Jahre her ist, daß die regionale Landwirtschaft die Bevölkerung ernähren mußte? Was wäre, so eine Frage im Publikum, wenn heute einmal für wenige Tage kein Dieselkraftstoff zur Verfügung steht? Inwieweit können wir unsere Grundversorgung fußläufig verrichten, wie es seinerzeit noch durch ein dichtes Einzelhandelsnetz für Jung und Alt gewährleistet war?
Es geht dabei nicht um eine Idealisierung gerade des dörflichen Lebens und niemand wünscht sich wieder in ein Leben zurück, das doch für Viele eines mit viel Plagerei und Armut bedeutete. Gerade der Film „Herbstmilch“ verdeutlicht, daß Wertschätzung und Verbundenheit der Eheleute auch auf das weitere familiäre Umfeld übergreifen kann, auch wenn die Zeiten es schwierig sind. Dies stellt auch auch eine tragfähige Grundlage für das Aufwachsen der Kinder dar. Im Gegensatz dazu können Neid, Mißgunst und Eifersucht gerade in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten einen Wirtschaftsbetrieb exitenziell gefährden. Deutlich wurde auch, daß wirtschaftlicher Aufbau und Einbindung in soziale Verantwortung nur im einvernehmlichen Miteinander geht, wobei ein bloßes Nachstreben persönlicher Interessen (ich will Spaß, Unterhaltung) als undenkbar galt. Die ältere Generation mußte über lange Zeit der jüngeren ihr Fachwissen zur Verfügung stellen, durch Schulbesuch (für viele Bauernkinder einst ein Privileg) und den Erwerb von landwirtschaftlichem Grundwissen in Ergänzung durch Landmaschinen geschah hier eine Entlastung. Ältere Zuschauer mit Vergleichsmöglichkeit von Stadt- und Landleben schilderten auch, daß sie lieber im Dorf waren, weil es insgesamt gemütlicher und überschaubarer zuging Eine junge Frau schilderte, daß sie wieder eine Mehrgenerationenfamilie außerhalb der Stadt anstrebe, weil sie niemanden später einmal in eine anonyme Pflege abschieben wolle und die ältere Generation auch noch viel zum Zusammenleben beizutragen habe – Stellungnahmen, die nachdenklich machten.
Die soziologische Forschung bestätigt, daß Gemeinsinn und Verantwortung für das Ganze stark vom gelebten Vorbild in der Familie abhängen. Kleine demokratische Einheiten bilden eine günstige Grundlage für Verbundenheit und den notwendigen Vertrauenskreis mit einer sozialen Hilfe auf Gegenseitigkeit, weshalb auch heute Ehrenamt und unentgeltliches Engagement für die eigene Gemeinde durch ein Zusammenlegen in immer größeren Einheiten gefährdet erscheinen. Über all dies weiter gemeinsam nachzudenken, dazu konnte die Filmreihe mehr als eine Anregung bilden. Den Abschluß der bildete 2003 fertiggestellte Film „Jennerwein“, der sich offenbar vorgenommen hatte das Metier der Wildererromantik zu entromantisieren. Dabei waren sich die Teilnehmer der anschließenden Diskussion bald einig, daß die Macher dieses Filmes dabei zu weit gegangen sind und ein Zerrbild sowohl des Lebens in den Bergen als auch der Verhältnisse des späteren 19. Jahrhunderts erzeugt haben. Der Film strotzt nur so von düsterer Stimmung, willkührlicher Gewalt der Obrigkeit und High-Noon und anderen Western-Versatzstücken. Es wurde deutlich: Wer einen Heimatfilm gut machen will, sollte zumindest gut dabei beraten werden: Von Kennern der Verhältnisse, die genau hinsehen und keine pauschalen Vorurteile schüren wollen. Nur so läßt sich Heimat realistisch darstellen und nur so können wir auch etwas daraus lernen.
Kritisches Bürgerkino lebt von der engagierten Auseinandersetzung mit dem Medium Film und seinen Inhalten, es gehört in einen Kino-Saal, in dem Filmkunst jedesmal auch neu in der gemeinsamen Diskussion entsteht. Dem ist diese Reihe gerecht geworden und das macht die Bedeutung solcher Themenreihen aus. Weitere Anregungen werden gerne entgegengenomen, weitere Mitstreiter sind herzlich willkommen.